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Waffenruhe und Geiseldeal

UNTER DIE FREUDE MISCHT SICH VIEL SKEPSIS

Die weltweite Solidarität mit den gefangenen Geiseln geht bis zum letzten Tag weiter. Foto: A. Canem

Die ersten Geiseln sind frei, doch immer noch befinden sich Frauen und Kinder in den Händen der Hamas-Terroristen. Die erste Phase des Geiselabkommens wurde bislang nur teilweise umgesetzt. Eigentlich sollten in der ersten Runde des dreistufigen Deals zunächst Kinder, Frauen, Kranke und Senioren an Israel übergeben werden. Erst danach wären Männer, darunter auch ehemalige Soldaten, freizulassen. In der dritten Phase sollen schließlich die Überreste der in den Tunneln der Hamas ermordeten Geiseln sowie der am 7. Oktober 2023 von den Terroristen geschändeten und als Trophäen missbrauchten Leichname an den israelischen Staat übergeben werden, um ihnen eine würdige Beisetzung zu ermöglichen.

 

Hamas inszeniert eine Propaganda-Show – die Schwächsten unter den Geiseln bleiben weiterhin in den Händen der Terroristen

Die Hamas inszeniert derweil eine Propaganda-Show, während die schwächsten Geiseln weiterhin in ihrer Gewalt bleiben. Auch der kleine Kfir, bekannt als „Baby Kfir“, der kürzlich in Gefangenschaft seinen zweiten Geburtstag feierte, bleibt ein Gefangener. Wahrscheinlich hat er nie das Sonnenlicht gesehen, kennt lediglich die dunklen Kerkerräume in den Tunneln der Hamas.

 

Währenddessen präsentieren sich hunderte Hamas-Kämpfer bei der Übergabe der ersten Geiseln als mächtige Kriegsherren. Diese Inszenierung steht in scharfem Kontrast zur Realität: Die Machtbasis des Iran und seiner Verbündeten liegt weitgehend in Trümmern, ebenso, wie die Infrastruktur der Hamas. Tausende ihrer Kämpfer wurden eliminiert, und ihre Führung ist dezimiert. Dennoch bleibt die Gefahr bestehen, dass sich die Terrororganisation mittelfristig neu aufstellen könnte. Die gezielte Verbreitung von Bildern vermeintlicher Stärke dient der Anwerbung von Geldgebern und neuen Rekruten.

 

Befreiung der Geiseln als ethisches Gebot

Zweifellos ist die Befreiung von Geiseln ein hohes moralisches Gebot. Im Babylonischen Talmud wird im Abschnitt „Bawa Batra“ das Prinzip „Pidjon Schwuim“ – die Rückführung von Gefangenen – als „großes Gebot“ beschrieben. Auch im „Schulchan Aruch“ heißt es: „In jedem Moment, den man zögert, einen Gefangenen zu befreien, gleicht man selbst einem Mörder.“

 

Rabbi Moshe ben Maimon (Rambam) unterstrich bereits im 12. Jahrhundert die Bedeutung dieser Verpflichtung. In seinem Werk „Mischne Tora“ schrieb er über die Entbehrungen und Gewalt, denen Gefangene ausgesetzt sind. Leider hat sich bis heute wenig geändert. Viele der Hamas-Geiseln wurden misshandelt, gequält, vergewaltigt und zum Hungern gezwungen. Schwache und kranke Gefangene überlebten die Tortur oft nicht. Einige starben in unterirdischen Verließen, andere wurden gezielt ermordet.

 

Ein zu hoher Preis?

Doch nicht alle Stimmen in Israel befürworten den Geiselaustausch. Der Preis sei zu hoch mahnen Kritiker und vergleichen ihn mit dem 18. Oktober 2011, als der israelische Soldat Gilad Shalit im Rahmen eines riesigen Gefangenenaustausches freigekauft wurde. Im Gegenzug für seine Freilassung setzte Israel 1.026 palästinensische Häftlinge auf freien Fuß. Zu diesen gehörte auch Yahya Sinwar, der spätere Drahtzieher des Angriffs vom 7. Oktober 2023, bei dem über 1.200 Menschen getötet und 250 Personen entführt wurden.

 

Der aktuelle Deal sieht vor, dass für jede freigelassene Geisel 30 palästinensische Gefangene aus israelischer Haft entlassen werden. Mehr als 100 Rabbiner der Organisation „Tora des guten Landes“, so berichtet das Nachrichtenportal „Israel heute“, sprechen sich gegen den Austausch aus. „Das alles gefährdet die Zukunft des Staates und die Sicherheit seiner Bürger“, argumentieren sie und berufen sich auf Rabbi Meir von Rothenburg, der seiner Gemeinde im 13. Jahrhundert verbot, die von den Entführern auferlegten astronomisch hohen Lösegeldforderungen zu erfüllen. Maimonides betonte in der „Mischna Gittin“, dass Gefangene nicht um jeden Preis freigekauft werden sollten.

 

„Gaza bleibt eine Bedrohung für Israel“

Der Handel mit Geiseln hat sich in der Geschichte oft als lukratives Geschäft erwiesen, insbesondere für antisemitische Akteure. Diese wissen, dass die jüdische Gemeinschaft alles tun wird, um ihre Brüder und Schwestern aus der Gefangenschaft zu befreien. Die Hamas hat einem Waffenstillstand zugestimmt, der am 19. Januar begann und für sechs Monate gelten soll. Mohammed Sinwar, der Bruder des getöteten Hamas-Führers Yahya Sinwar, entscheidet zusammen mit Izz al-Din Haddad, ob die Waffenruhe aufrechterhalten wird.

 

Als Anführer und Kommandant der Qassam-Brigaden war Mohammed Sinwar 2006 an der Entführung von Gilad Shalit beteiligt. Er gilt auch als einer der Hauptplaner und Drahtzieher des Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023 und war der engste Vertraute seines Bruders. Israel hatte ein Kopfgeld in Höhe von 300.000 US-Dollar ausgesetzt, konnte seinen Aufenthaltsort in einem der Tunnel jedoch nicht ausfindig machen. Sinwar baut die militärischen Strukturen der Hamas erneut auf und rekrutiert neue Kämpfer. „Gaza bleibt eine Bedrohung für Israel“, erklärte der pensionierte israelische Brigadegeneral Amir Avivi gegenüber dem „Wall Street Journal“. Wenn der „Krieg diese Woche endet und die Gefahr einer Hamas-Invasion noch mit geringer Wahrscheinlichkeit existiert, dann wird sie in zehn Jahren mit einer fast sichereren Wahrscheinlichkeit bestehen“.

 

Dennoch gilt die Waffenruhe als richtiger Schritt. Israels Präsident Isaac Herzog erklärte: „Israel muss die Geiseln zurückholen, damit sie sich zu Hause erholen oder beigesetzt werden können.“ Herzog räumte ein, dass der Deal „schmerzhafte und herausfordernde Momente“ mit sich bringe, sieht jedoch keine Alternative. Möglich wurde der Deal durch die Vermittlung Katars sowie Ex-Präsident Joe Biden und dem neuen US-Präsidenten Donald Trump, der auf einen Waffenstillstand noch vor seinem Amtsantritt bestand.

 

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Alexander Beygang

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