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Jüdisches Museum Wien, Dorotheergasse 11, Wien, www.jmw.at, Judentum, Wien
Achim Doerfer, Dr. Achim Doerfer, Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen, Dina Porat, Die Rache ist Mein allein, Vergeltung für die Schoa, Vergeltung für den Holocaust, Abba Kovner

Autor Dr. Achim Doerfer. Foto Alexander Beygang

Die Welt soll sehen, dass jüdisches Blut nicht ungestraft vergossen werden darf

Facettenreich beschreibt Doerfer jedoch nicht nur den jüdischen Widerstand während der NS-Zeit, sondern auch einige spontane Vergeltungsaktionen der unmittelbaren Nachkriegszeit. Im KZ Buchenwald zum Beispiel erschlugen Häftlinge, kurz bevor Soldaten der US-Armee ins Lager kamen, rund 80 noch im Lager verbliebene Angehörige des Wachpersonals. „Eine Affekttat“, so Doerfer, „in der sich aufgestauter Hass über grausamste Torturen Bahn brach.“ Rund 56.000 Häftlinge waren bis zur Befreiung im KZ Buchenwald auf grausamste Weise ermordet worden. Weitere Insassen, insgesamt einige Tausend, kamen kurz vor Kriegsende auf den Todesmärschen um.

 

Der Titel des Buches von Dr. Achim Doerfer: „Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen“, ist ein Zitat des jüdischen Anführers einer Rächergruppe, die in den späten 1940er Jahren in Norditalien operierte. Doerfer verharmlost keine Racheaktionen, vielmehr will er sie vor dem historischen Hintergrund der Nachkriegszeit verstanden wissen. Die jüdische Organisation „Dam Yehudi Nakam“ (jüdisches Blut rächen), weltbekannt unter dem Namen „Nakam“, erwähnt Doerfer ebenfalls. Die Gruppe um den damals 27-jährigen Abba Kovner, der im Ghetto von Wilna als ­Kommandeur der ­„Fareinikte Partisaner Organisatzije“ gegen die deutschen Besatzer kämpfte, sah eine Kollektivschuld des deutschen Volkes und plante nach dem Krieg eine Vergeltungsmaßnahme für die Millionen ermordeten Juden durch die Schoa, den sogenannten Plan A. In Frankfurt, Nürnberg, Hamburg und München sollte das Trinkwasser vergiftet werden. Eine zweite koordinierte Aktion, der Plan B, zielte auf die Tötung von SS-Angehörigen, die in alliierten Kriegsgefangenen­lagern inhaftiert waren. Sie sollten durch vergiftetes Brot ermordet werden. Die Welt sollte sehen, dass vergossenes jüdisches Blut nicht ungestraft bleiben dürfe. Beide Vorhaben wurden durch Angehörige der Hagana vereitelt. Darüber erzählen auch das Autorenkollektiv Jim G. Tobias und Peter Zinke in ihrem Buch „Nakam – Jüdische Rache an NS-Tätern“ und Joseph Harmatz in seiner Lebenserinnerung „From the Wings – Von den Flügeln“.

 

Auch in ihrem 2021 veröffentlichen Buch „Die Rache ist Mein allein“ berichtet die Chefhistorikerin von Yad Vashem Dina Porat von jungen Frauen und Männern, die als Untergrundkämpfer die Schoa überlebten und sich nun rächen wollten. Auf der Grundlage ihres Buches wurde eine deutsch-israelische Koproduktion gedreht, die seit 2021 in Deutschland, in den USA, Kanada, Großbritannien, Irland, Australien und Neuseeland unter dem Titel „Plan A – Was würdest du tun?“ zu sehen ist.

 

„Solange man in der Erinnerungskultur nicht ehrlich sei, bleibt die deutsch-jüdische Versöhnung ein Märchen“

Das ist ein Novum. Denn von jüdischen Racheplänen und Vergeltungsaktionen wollte man in Deutschland jahrzehntelang nichts hören. Doch „solange man in der Erinnerungskultur nicht ehrlich sei“, so Doerfer, bleibe „die deutsch-jüdische Versöhnung ein Märchen.“ Natürlich war das Vorhaben der Kovner-Gruppe eine terroristische Aktion, doch versagte gleichzeitig auch die deutsche Justiz bei der Strafverfolgung von NS-Verbrechen. Vertrauen in die deutsche Nachkriegsjustiz hatte keiner der jüdischen Überlebenden. Auch deshalb sei jüdischer Widerstand weitestgehend unbekannt geblieben. Das Narrativ der Erinnerungskultur lag lange Zeit in den Händen der Täter, nicht der Opfer. Bis heute ist die „Aufarbeitung der Schoa in Deutschland schlecht, ja man lügt sich im Rahmen einer selektierenden, fehlgeleiteten Erinnerungskultur in die Tasche“, schreibt Dr. Achim Doerfer. Verwirrung, Unsicherheit und Angst, sowie der Wunsch nach einem Schlussstrich sei nach wie vor vorherrschend. Immer noch betrachtet die Mehrheitsgesellschaft Juden lieber als wehrlose Opfer. „Jüdisches Schweigen wird als versöhnlich verbucht, ist aber tatsächlich oft das Verstummen an generationenübergreifend fortwirkendem Hass und Trauma“, so Doerfer. Eine Aufarbeitung über die Wiedereingliederung der Täter in die Mehrheitsgesellschaft, sowie das allgemeine Stillschweigen darüber, ist dringend nötig. Die „Versöhnungsarbeit“ ist ebenso wenig beendet, „wie unter den Kampf gegen Antisemitismus ein Schlussstrich gezogen werden kann“, plädiert Autor Doerfer am Ende seines faktenreichen Buches. Will man zur Normalität der deutsch-jüdischen Beziehung kommen, darf man auch heikle Themen nicht mehr unter den Tisch fallen lassen.

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