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DER FALL GURLITT

RESTITUTION STEHT IMMER NOCH AM ANFANG

Die von Nationalsozialisten gestohlenen und teilweise in die ganze Welt verkauften Kunstschätze „sind die letzten Gefangenen des 2. Weltkrieges“, betont der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald S. Lauder. Sie sollen zurückgegeben werden. Die Fälle dürfen nicht verjähren. Auch wenn die Gesetzeslage solches zulässt und damit eine rechtliche Grundlage für all jene privaten Sammler ermöglicht, die sich weigern ihre Schätze heraus zu geben.

Mit dem Film „Women in Gold“ über Klimts Gemälde „Adele Bloch-Bauer“ erreichte das Thema eine breitere Öffentlichkeit und führte zu einer größeren „Raubkunst-Debatte“. Die Nationalsozialisten hatten auch dieses Gemälde den jüdischen Besitzern gestohlen. Erbin Maria Altmann klagte und gewann. Das Gericht entschied die Rückgabe. In Berlin kam der Fall Gurlitt sogar auf die Bühne. Der britische Dramatiker Ronald Harwood, der 2003 für sein Drehbuch zum Film „Der Pianist“ den Film-Oscar erhielt, schrieb ein Theaterstück „Entartete Kunst“ über einen Kunsthändler, der von den Nazis enteignete und diffamierte Werke erwarb, um sie anschließend im Auftrag der NS-Behörden gegen Devisen zu verhökern und dabei einige der Raubkunstwerke für sich behielt. Sein Sohn Cornelius Gurlitt, gespielt von Udo Samel, lebte im Geheimen mit diesen Gemälden und Grafiken und wurde im hohen Alter von der Realität überrascht. Welche Schuld trifft ihn? Was wusste er von der Herkunft seiner zum großen Teil unrecht erworbenen Schätze? Dieser Frage geht das von Torsten Fischer inszenierte Theaterstück nach, das im Berliner Renaissance-Theater uraufgeführt wurde und auch in dieser Spielzeit auf dem Spielplan steht. Bekannte Schauspieler sind im hochkarätigen Ensemble mit dabei, Ralph Morgenstern, Anika Maurer und der durch seine Rolle als Kommissar in Tatortserien berühmt gewordene Boris Aljinovic.

 

Cornelius Gurlitt vermachte die Kunstwerke dem Museum in Bern

Provenienzforschung ist viel zu langsam

In seinem Testament vermachte der 2014 verstorbene Cornelius Gurlitt seine Kunstschätze den Schweizer Kunstmuseum in Bern, rund 1.600 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken. Die Schweizer nahmen das Erbe an. Vorher verpflichteten sich die deutsche Bundesregierung und der Freistaat Bayern die Kunstschätze auf ihre Herkunft zu überprüfen und sie den früheren Besitzern oder deren berechtigten Erben zurückzugeben. Das Ergebnis ist ernüchternd. Zu langsam und wahrscheinlich auch allzu halbherzig wurde geforscht. Im Jahr 2016 war gerade mal bei elf Werken die Provenienz lückenlos aufgeklärt, bei lediglich fünf bestätigte sich der Verdacht auf Raubkunst. Und das, obwohl bei mindestens 500 die Herkunft ungeklärt ist und knapp 1,9 Millionen Euro für die zügige Erforschung zur Verfügung stehen.

 

Lauder fordert die Schweiz auf, Thema Raubkunst ernst zu nehmen

In Zürich forderte Ronald S. Lauder nun die Schweiz auf, das Thema Raubkunst ernster zu nehmen. Es geht darum Ge-rechtigkeit wieder herzustellen. Für ihn ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die Berner das Erbe Gurlitts überhaupt angenommen haben. Auch wenn man nicht in allen Fällen nachweisen kann, dass die Kunstwerke früheren jüdischen Eigentümern direkt gestohlen wurden, so ist es doch naheliegend, dass auch ein angeblich „seriöser“ Verkauf unter Zwang geschah. Die brutalen Verfolgungen der Nazis werden geradezu ausgeblendet. Es darf den Museen nicht egal sein, ob ein Verfolgter seine Kunstsammlung unter Wert verkaufte, um sich und seine Familie zu retten. Wenn das Berner Kunstmuseum Gurlitts Erbe wirklich annimmt, so Lauder, „wird es die Büchse der Pandora öffnen und eine Lawine von Prozessen auslösen“. In Österreich hatte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses die „Mauerbach-Sammlung“ entdeckt. Wo die Herkunft klar war, erhielten die Eigentümer ihre Werke wieder zurück. Der Rest wurde in Wien versteigert. Der Erlös von fast 20 Millionen Dollar ging an jüdische Einrichtungen.„So müsse man auch mit der Gurlitt-Sammlung verfahren“, schlägt Ronald S. Lauder vor. Wichtig sei nun eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen und eine internationale Datenbank anzulegen, in der jeder den Stand der Provenienzforschung einsehen kann.

 

Dr. Winter empfiehlt eine separate Gurlitt-Sammlung im Kunstmuseum Bern

Obwohl Herbert Winter in vielen Punkten mit Ronald S. Lauder übereinstimmt, plädiert der Präsident des Schweizer Israelitischen Gemeindebundes dafür, dass das Berner Kunstmuseum das Gurlitt-Erbe annimmt. Vorbildlich findet er, dass nur Kunstwerke mit einwandfreier Provenienz in die Schweiz kommen sollen, während die anderen bis zur endgültigen Klärung in Deutschland bleiben. Auch die Schweiz ist, wie weitere 44 Staaten, der Washingtoner Erklärung beigetreten und hat sich für das Auffinden und die Rückgabe von Kunstwerken verpflichtet, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden. „In den letzten Jahren“, erinnerte Winter in seiner Rede zum Thema „Lost Art-Lost Justice“ im Zürcher Kunsthaus, „hat es die Washingtoner Erklärung möglich gemacht, dass weit über 1.000 Gemälde und Kunstobjekte aus etwa 20 Staaten an die Eigentümer oder ihre Erben restituiert wurden“. Allerdings, so Winter, gilt die Verpflichtung zur Provenienzforschung nicht für private Sammler und Kollektionen. Er appelliert an sie, ebenfalls die Herkunft ihrer Kunstwerke abzuklären. Nicht alle Objekte der Gurlitt-Sammlung, so Winter, sind Raubkunstobjekte. Auch aus den deutschen Museen wurden Exponate herausgenommen und auf dem Kunstmarkt verkauft. Einige davon hat sich Gurlitt selber einverleibt. Diese Objekte können durchaus in Bern ausgestellt werden. Sinnvoll wäre eine separate Gurlitt-Sammlung innerhalb des Kunstmuseums. Generell, so Winter, gilt: „Bei Raubkunst besteht kein Zweifel an der Verpflichtung zur Restitution.“ Fällt der Verdacht auf ein Kunstwerk, Fluchtgut zu sein, muss „auch hier die Provenienz auf jeden Fall recherchiert werden.“

 

„Limbach-Kommission“ beruft jüdischen Vertreter

Als Reaktion auf die Washingtoner Erklärung wurde in Deutschland die „Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturverluste“ gegründet, die nach ihrer Vorsitzenden „Limbach-Kommission“ genannt wird und Deutschlands Anlaufstelle in Sachen „NS-Raubkunst“ ist. Internationale Kreise warfen ihr kürzlich mangelnde Transparenz und die bewusste Ausgrenzung von Opfern vor. Erst jetzt will Kulturstaatsministerin Grütters einen jüdischen Vertreter mit einbeziehen. Der Jüdische Weltkongresses wie auch die Claims-Conference begrüßen die angekündigte Berufung. „Es ist entscheidend, dass die Perspektive der Opfer in der Kommission vertreten ist“. Vorgeschlagen wurde der ehemalige Direktor des Berliner Jüdischen Museums W. Michael Blumenthal.

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