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ZWISCHEN TRADITION UND GEGENWART

JUDEN IN DER BUNDESWEHR

Zur Traditionspflege der Bundeswehr wie auch der deutschen Zivilgesellschaft gehört die Erinnerung an jene Juden, die im 1. Weltkrieg fielen. Heute dienen über 200 jüdische Soldaten in der Bundeswehr, ein Großteil von ihnen kam einst aus Osteuropa oder sind Kinder von Kontingentflüchlingen, die in Deutschland aufwuchsen.

Abbildung aus dem im Text vorgestellten Buch „Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges“.
Abbildung aus dem im Text vorgestellten Buch „Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges“.

„Sehr geehrter Herr Direktor, seit längerer Zeit stehe ich im Feld, der Gefahren tagtäglich durch feindliche Flieger ausgesetzt, benutzte ich die günstige Gelegenheit, Ihnen zum bevorstehenden Jahreswechsel meine beste Gratulation zu übermitteln... Leider werde ich schweren Herzens im Felde fern von meiner lieben Frau und glücklicher Heimat die Hohen Feiertage begehen müssen. Möchte doch nur bald der Krieg sein Ende nehmen“, heißt es in einem Feldpostbrief, den Siegfried Lewy 1918 Herrn Dr. Feist schrieb. Julius Marcus, der 1917 in Galizien kämpfte, berichtete „Unser Ausgangspunkt war die Stadt Zloczow...auf dem Vormarsch hatten wir ein wahres Flammenmeer vor uns...der Feind begrüßt uns mit Granaten“ und Karl Levit freut sich, nach einem Lazarettaufenthalt „mit dem nächsten Transport ins Feld wieder zu gehen. Eines Teils ist es draußen doch besser. Schon die Brotportion ist draußen mehr.“

 

28 Mrd. Feldpostsendungen, wird geschätzt, schickten deutsche Soldaten zwischen 1914-1918 nach Hause. Ein Bruchteil von ihnen erhielt Dr. Sigmund Feist, der Direktor des „Reichenheimischen Waisenhauses“ der Berliner Jüdischen Gemeinde. 784 Feldpostbriefe und -karten von ehemaligen Zöglingen befinden sich im Nachlass, der inzwischen im Besitz der Neuen Synagoge Berlin-Centrum Judaicum ist. Teile daraus machte 1977 erstmals eine Ausstellung bekannt. Der Berliner Verlag Hentrich & Hentrich veröffentlichte Jahre später in zwei Bänden diese „Feldpostbriefe Jüdischer Soldaten 1914-1918“. Herausgegeben wurden sie von der Stiftung Neue Synagoge Berlin-Centrum Judaicum und dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam. Selbstbewusste Juden sind die Briefeschreiber, die sich dennoch durch und durch als Deutsche empfinden wie Landsturmmann Karl Levit, dessen Feldgebetbuch ebenfalls im Buch abgebildet ist.

 

Auch über „Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges“ forschten Sabine Hank und Hermann Simon. Ihre umfangreiche Recherche kann man in einem Buch mit vielen Abbildungen lesen, das ebenfalls im Verlag Hentrich & Hentrich erschien. Liberale wie Orthodoxe gestalteten gleichzeitig die Feldg'ttesdienste für all jene Juden, die für „G'tt und Vaterland“ freiwillig in den Krieg gezogen oder einberufen worden waren. Nur 300 Mark zahlte die Militärbehörde den Rabbinern ab 1915 als monatliche Aufwandsentschädigung, den weitaus größeren Teil des Soldes erhielten sie von jüdischen Organisationen, hauptsächlich vom „Verband der deutschen Juden“ sowie einigen jüdischen Gemeinden. Reich mit Fotos bebildert ist dieses hervorragende Buch, das auch die Lebensläufe der Geistlichen vorstellt. Berühmte Rabbiner sind darunter, Leo Baeck, Carlebach, Pinchas Cohn und viele andere.

 

Nach dem Ende des Krieges kamen in Deutschland alte antisemitische Vorurteile an die Oberfläche: Juden seien Schuld am verlorenen Krieg, sie wären Drückeberger die nicht fürs Vaterland gekämpft hätten, waren feige und so weiter. Enttäuscht wandten sich viele Veteranen verstärkt ihren Gemeinden zu, nicht wenige auch dem Zionismus. Überall in Deutschland mahnte der „Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten“, der 1919 gegründet worden war, die gefallenen jüdischen Soldaten zu ehren. 1927 wurde in Berlin von Rabbiner Leo Baeck auf dem Jüdischen Friedhof ein „Ehrenfeld für die im Weltkrieg gefallenen Jüdischen Soldaten“ eingeweiht. Davon berichtet ein weiteres, ebenfalls im Verlag Hentrich & Hentrich erschienenes Buch „Bis der Krieg uns lehrt, was der Friede bedeutet“.

 

Nicht nur in Berlin, auch in anderen Städten, wie München und Frankfurt entstanden Ehrenmale, die an den Einsatz jüdischer Frontsoldaten erinnern. Rund 100.000 jüdische Soldaten zogen in den Ersten Weltkrieg, 12.000 fielen, viele wurden verwundet. Überall hofften jüdische Männer mit ihrem Kriegseinsatz auch die Anerkennung der nichtjüdischen Gesellschaft zu erlangen. Doch das Versprechen der nationalen Gleichheit hatte keinen langen Bestand. Nach der Machtergreifung Hitlers half ihnen weder das „Eiserne Kreuz“ für besondere Tapferkeit, noch andere Auszeichnungen. Viele von ihnen wurden in den Konzentrationslagern ermordet, vergast, erschossen oder starben an Hunger. Nach dem Krieg war kein Jude mehr bereit in einer deutschen Armee zu dienen. Der Zweite Weltkrieg mit den entsetzlichen Verbrechen der Wehrmacht war allzu tief im Bewusstsein der wenigen Juden verankert, die eine neue jüdische Gemeinschaft in Deutschland aufzubauen begannen. Anders als in Österreich, wo die allgemeine Wehrpflicht auch für Juden galt, hatte in Deutschland der Gesetzgeber die emotionale Belastung als besondere Härte anerkannt und Juden vom Wehrdienst freigestellt.

 

Doch 1966 gab es einen jungen Juden, der freiwillig Soldat bei der Bundeswehr wurde. Michael Fürst, der heutige Landesvorsitzende der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, machte den ersten Schritt. „Gewissensbisse hatte ich nicht, weil ich ja wusste, dass die Bundeswehr nicht die Wehrmacht von 1933 bis 1945 war“, erklärte er. Mittlerweile dienen heute über 200 Juden in der Bundeswehr, Männer und Frauen. Ein Großteil von ihnen kam aus Osteuropa oder sind Kinder von Kontingentflüchtlingen, die in Deutschland aufwuchsen. Sie alle sind jüdische Staatsbürger in Uniform, wobei es durchaus vorkommt, dass sie selber Soldaten der deutschen Bundeswehr sind und ihre Geschwister oder Kinder zur ZAHAL gehen oder nach dem dortigen Dienst eine Karriere bei der Bundeswehr antreten. Auch pflegt die Bundeswehr mit Israel gute Beziehungen wie kaum mit einem anderen Staat. „Die Voraussetzung für die Bereitschaft deutscher Juden zum Dienst in der Bundeswehr ist trotz unterschiedlicher Lebenswelten und Identitätskonstruktionen daran gebunden, ob ein Jude als Jude gleichberechtigt neben anderen als Soldat angenommen wird und ob die besondere verpflichtende Beziehung aller Juden zu Israel akzeptiert wird, ohne eine Doppelloyalität und Unzuverlässigkeit des jüdischen Soldaten zu konstruieren“, betont Bundeswehroberst Dr. Gideon Römer-Hillebrecht, der bereits im Fronteinsatz in Afghanistan war. In der Bundeswehr gibt es mehrere Juden die Offiziere sind. Das erzählt viel von dem demokratischen und demographischen Wandel. Aus über 80 Ländern stammen die Soldaten, die verschiedene religiöse Backgrounds haben. Auch die Ausübung der jüdischen Religion wird ermöglicht, angefangen von jüdischen Feiertagen bis hin zum koscheren Essen.

 

Zur Traditionspflege gehört auch die Erinnerung an ehemalige jüdische Soldaten, nach denen verschiedene Kasernen benannt werden, wie beispielsweise nach Leo Löwenstein in Aachen, seiner Geburtsstadt. Löwenstein kämpfte als Offizier im Ersten Weltkrieg und gründete 1919 den „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“, dessen Ziel es war, das Ansehen jüdischer Kriegsteilnehmer zu schützen. Heute ehrt und bewahrt die deutsche Gesellschaft die wenigen, noch erhaltenen Ehrenmale, auch das gehört zur Traditionspflege. In Frankfurt am Main fand zum Beispiel anlässlich des 100. Jahrestages des Kriegsausbruchs die Gedenkveranstaltung am Ehrenmal zur Erinnerung an die jüdischen Soldaten statt. 50 Gräber erinnern auf dem Jüdischen Friedhof in einem besonderen Teil an jene Juden, die im Ersten Weltkrieg fielen oder in Lazaretten ihren Verwundungen erlagen. Auch diesmal war es ein würdiges Gedenken der Bundeswehr gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Magistratsvertretern der Stadt und verschiedenen Vereinen. „Für Juden“, meint Oberst Dr. Römer-Hillebrecht, zugleich Vizevorsitzender des 2006 neu gegründeten „Bund jüdischer Soldaten“, ist „vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte ein Platz in einer deutschen Armee, ohne eine verachtete oder geduldete Minderheit zu sein.“

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