Gestapo-Chef auf Jüdischem Friedhof beerdigt

Friedhof Berlin Mitte
Heutiger Eingang zum Jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße in Berlin.                         Foto: Wikipedia PD-Art/ J. Jansen

Die jüdische Welt ist entsetzt. Ausgerechnet auf einem jüdischen Friedhof in Berlin soll Heinrich Müller beerdigt worden sein. 68 Jahre forschte das Simon-Wiesenthal-Zentrum vergeblich nach dem Verbleib des ehemaligen Gestapo-Chefs. Verschiedene Geheimdienste und viele Historiker suchten ebenfalls nach dem NS-Verbrecher, der als Chef der Geheimen Staatspolizei und Reichskriminaldirektor an der Planung und Ausführung des Holocaust maßgeblich beteiligt war. Während sein Untergebener Adolf Eichmann gefasst und in Israel vor Gericht gestellt werden konnte, blieb sein Chef Heinrich Müller, der bis ins kleinste Detail für den Völkermord an den europäischen Juden verantwortlich ist, verschollen. Einige vermuteten, dass er nach dem Krieg in Südamerika untergetaucht war, andere wollten ihn in der damaligen Tschechoslowakei gesehen haben. Auch in Albanien und in Moskau wurde er vermutet. Dabei gab es bereits im August 1945 einen wertvollen Hinweis: zusammen mit anderen Leichen soll Müller in Berlin-Mitte in einem Massengrab auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof verscharrt worden sein.

 

Ein Beerdigungskommando fand Müllers Leiche in einem provisorischen Grab in der Nähe des ehemaligen Reichsluftfahrministerium. Er trug eine Generalsuniform und in seiner linken Brusttasche steckte sein Dienstausweis mit seinem Foto. Das gab Totengräber Walter Lüders 1963 bei der Berliner Polizei zu Protokoll. Geglaubt wurde ihm nicht. Lüders hatte schon früher mehrfach betont, dass er die Leiche Müllers gesehen hatte, die er dann mit anderen Toten auf dem jüdischen Friedhof anonym beerdigte. Ob der NS-Verbrecher Selbstmord begangen hatte oder bei einem Angriff der Alliierten ums Leben kam, ist unbekannt. Jedenfalls bestätigte die Ost-Berliner Verwaltung 1955 die Information, Müller sei auf dem jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Strasse begraben worden. Diese Nachricht wurde geheim gehalten.

 

Dies entdeckte nun Johannes Tuchler, Leiter der Berliner „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ bei seiner Recherche über die Ermordung von 18 Widerstandskämpfern kurz vor Ende des 2. Weltkrieges durch ein Gestapo-Sonderkommando. Heinrich Müller war für diese Aktion verantwortlich.

 

Tuchlers Schlussfolgerung der Recherche, dass die sterblichen Überreste des NS-Verbrechers sich auf dem Berliner jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Strasse befinden, ist eine Sensation. 1942 hatte die Gestapo den Friedhof beschlagnahmt und hier ein Sammellager für 55.000 Juden errichtet. Von dort wurden sie nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert. 1943 zerstörte die Gestapo den Friedhof, auf dem einst Moses Mendelssohn beerdigt wurde, David Hirschel Fraenkel und viele andere Juden ruhen. Dieser jüdische Friedhof war einer der bedeutendsten von Berlin. Die Nazis machten ihn dem Erdboden gleich, zerstörten Grabmäler und Grabsteine, die daran erinnern. Als Ende des Krieges viele Berliner starben, wurden 2.500 Leichen auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Die meisten Toten waren Zivilisten, die aus den Ruinen herausgeholt worden waren, aber auch Soldaten und NS-Funktionäre, deren Tod verheimlicht wurde.

 

In den 70er Jahren beseitigte das Ost-Berliner Stadtgartenamt die aufgestellten Holzkreuze sowie die restlichen, übrig gebliebenen jüdischen Grabsteine und machte aus dem Friedhof eine Grünfläche. Lediglich der entdeckte Grabstein von Moses Mendelssohn wurde wieder aufgestellt und eine Gedenktafel errichtet. Nach der Wende wurde 2008 der Friedhof wieder geweiht. Unbehagen macht es der Jüdischen Gemeinde Berlins schon lange, dass dort so viele Nichtjuden beerdigt sind, in enger Nachbarschaft zu Juden, von denen viele verfolgt, verraten und ausgeraubt worden waren. Dass dort ausgerechnet die sterblichen Überreste des NS-Verbrechers Müller liegen, war bisher nicht bekannt. Es sei ausgeschlossen, einen einzelnen Toten im Massengrab zu finden, meint Historiker Tuchel. Eine Lösung für dieses Problem sei „leider noch nicht gefunden“ erklärte Ilan Kiesling, Pressesprecher der Berliner Jüdischen Gemeinde. Doch muss eine Lösung gefunden werden, denn „hier wird das Andenken der Opfer grobschlächtig mit Füßen getreten“ betont Dr. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.

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