„Meine Herren, gehen Sie nach Hause, die Synagoge brennt“, warnt ein Mitglied der Israelitischen Religionsgesellschaft am Morgen des 10. November 1938 die zum G'ttesdienst an die Friedberger Anlage Kommenden. Aber es handelt sich nicht um den „verbrecherischen Anschlag einzelner“: Nicht nur alle Frankfurter Synagogen stehen in Flammen, vielmehr fallen reichsweit jüdische G'tteshäuser den von Reichskanzler Adolf Hitler selbst in Aktion gesetzten Nazihorden zum Opfer.
Beginn von Separierung und Gewalt
Erklärtes Ziel der NS-Herrschaft ist ein „judenfreies“ Deutschland. Bis 1938 sollen Boykotte, Berufsverbote, Nürnberger Rassegesetze und andere Schikanen Juden das Hierbleiben unerträglich machen; tatsächlich flüchteten viele ins Exil. Doch noch immer leben 350.000 im Reich. So notiert Goebbels im Januar 1938: „Die Juden wollen an allen Grenzen emigrieren. Aber niemand will sie hereinlassen. Wohin mit dem Dreck?“
Frankfurts Polizeipräsident Adolf Beckerle, seit 1922 NSDAP-Mitglied, setzt am 9. November noch vom „Kameradschaftsabend“ in München telefonisch SA, HJ und andere für die Aktionen in Frankfurt in Bewegung. In den frühen Morgenstunden setzen SA und HJ die jüdischen Gotteshäuser in Brand. Die Feuerwehr beschränkt sich auftragsgemäß auf die Sicherung benachbarter Gebäude. „Sämtliche Frankfurter Synagogen fielen der allgemeinen und von allen Bevölkerungsschichten getragenen, mitreißenden Demonstration zum Opfer“, meldet die Frankfurter Zeitung entsprechend den Vorgaben des Regimes am 11. November 1938.
Geschäfte und Wohnungen jüdischer Bürger sind ab sechs Uhr das Ziel von SA und HJ. Vor allem im Frankfurter Ostend demolieren die Nazis unzählige Wohnungen. Systematisch werden auch auf der Zeil Läden von Juden kurz und klein geschlagen, die Warenlager trotz Verbots geplündert. Nur kurze Zeit später klinken sich Gestapo und Polizei ein und verhaften entsprechend geheimen Gestapo-Fernschreibens „so viele Juden – insbesondere wohlhabende …, als in den vorhanden Hafträumen untergebracht werden können“.
Noch mehrere Tage macht das Regime Jagd auf jüdische Männer, die im zuständigen Polizeirevier registriert und dann zur Sammelstelle Festhalle transportiert werden. „Die Festhalle war voller Juden, ältere Leute, angesehene Leute, Leute aus allen möglichen gesellschaftlichen Schichten, Gesunde und Kranke, Alte und Junge“, erinnert sich ein Betroffener.
Tag für Tag erfolgt von der Festhalle der Bustransfer zum Südbahnhof, wo ein Spalier auch von Frauen und Mädchen zu überstehen ist, die erbarmungslos auf die wehrlosen Männer einschlagen. Von hier fahren die Züge in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau ab. Nach Buchenwald werden mindestens 2.621 Frankfurter verschleppt, in Dachau landen 534 „Aktionsjuden“ aus der Main-Metropole.
Das Regime gibt die Maxime aus: Wer eine Emigrationsmöglichkeit nachweisen kann, kommt aus dem KZ frei. Doch für die vielen durch NS-Maßnahmen inzwischen verarmten Juden bestehen kaum noch Ausreisemöglichkeiten. „Judenvermögensabgabe“, die den Opfern aufgebürdeten Kosten für die Schadensbeseitigung der Ausschreitungen und den Abriss der Synagogen sowie ihr Ausschluss aus dem Wirtschaftsleben verschärfen die Situation nach dem Pogrom zusätzlich.
Gedenken in Frankfurt
Der November-Pogrom markiert den Übergang zu einer neuen Strategie: Absonderung der Juden in einer Zwangsgemeinschaft. Dies schafft die Grundlage für die ab 1941 von der Mehrheitsgesellschaft widerspruchlos hingenommenen Massendeportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager – und den Genozid.
Trotz der immensen Opferzahlen des Völkermords stehen im Gedenken der Nachkriegszeit zunächst nicht die Deportationen, sondern der November-Pogrom im Mittelpunkt. Die ersten – von der Stadt finanzierten – Gedenktafeln an drei Standorten zerstörter Synagogen gehen 1946 noch auf eine Verfügung der US-Militärregierung und die Anregung von Rabbiner Neuhaus zurück. Für kleinere Synagogen folgen entsprechende Tafeln erst später: Bergen-Enkheim 1962, Höchst 1966, Rödelheim 1979, Bockenheim, Heddernheim und Unterlindau 1988. Inzwischen befinden sich an mehreren Orten auch künstlerisch gestaltete Gedenkstätten, so am Neuen Börneplatz, an der Friedberger Anlage oder in Höchst. Die Jüdische Gemeinde gedenkt der Pogrom-Opfer traditionell in der Westendsynagoge, die Stadt in der Paulskirche. Zum 50. Jahrestag des Pogroms 1988 richtet Frankfurt nicht nur die zentrale Gedenkveranstaltung für die BRD und Westberlin in der Alten Oper aus, sondern eröffnet am 9. November 1988 auch das erste Jüdische Museum auf deutschem Boden nach 1945, das dieser Tage 25-jähriges Bestehen feiern kann. Jutta Zwilling/ Stadt Frankfurt am Main (pia)
Öffentliche Veranstaltungen rund um das November-Pogrom
Sonntag, 10. November, 17 bis 19 Uhr
Vor 75 Jahren brannten die Synagogen
Filmprogramm zur Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft und ihrer Besucher
Veranstalter: Initiative 9. November
Ort: Hochbunker Außenfassade, Friedberger Anlage 5-6, Frankfurt
Mittwoch, 27. November, 19 Uhr
Ausstellungseröffnung: Das Jahr 1938: Kunstleben im Nationalsozialismus
Veranstalter: Jüdisches Museum
Ort: Jüdisches Museum, Untermainkai 14/15, Frankfurt
Quelle: „Stadt Frankfurt am Main"