Ungarn

Rechte an der Macht, die Folge: Offener Antisemitismus

Immer offener tritt Antisemitismus in Ungarn auf. Um die Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen und gleichzeitig ein Zeichen dagegen zu setzen, führte der Jüdische Weltkongress seine Plenartagung nicht in Jerusalem sondern in Budapest durch.

  • Das ungarische Parlament in der Hauptstadt Budapest vom Donauufer aus gesehen.

  • MP Victor Orbán versucht immer wieder den Antisemitismus in Ungarn zu verharmlosen.

  • Die Jobbik-Partei ist in Ungarn multipräsent – besonders an öffentlichen Plätzen.

Ungarn ist ein wunderschönes Land. Dennoch flüchten immer mehr Bürger, vor allem Juden, aus dem Magyarenstaat. Sie wandern vorwiegend nach Großbritannien, in die Schweiz, nach Israel oder Österreich aus. „Jeder, der zu uns kommen will, ist herzlich willkommen,“ sagt Ariel Muzicant und freut sich, dass die Israelitische Kultusgemeinde Wien so wieder wächst.

 

Die Juden seien Wirtschaftsflüchtlinge, hört man des Öfteren. Doch das stimmt nicht. Klara S., die in Deutschland lebt und arbeitet, blieb trotz ihres jahrzehntelangen Auslandsaufenthaltes wie die meisten Juden, dennoch „Ungarn immer sehr verbunden,“ erzählt sie. Doch jetzt will sie ihren ungarischen Pass abgeben und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Sie hat, wie viele andere auch, Angst vor dem wachsenden Antisemitismus in Ungarn und will mit „diesem Staat nichts mehr zu tun haben“. Tatsächlich schlägt das Pendel spürbar nach rechts aus. Besonders jüdische Intellektuelle, aber auch die Roma, bekommen den Hass zu spüren. Die Universitäten sollten Listen erstellen aus denen hervorgeht, welche Studenten jüdisch sind. Jetzt schon ist „Jobbik“ die drittgrößte Partei im ungarischen Parlament. Ihre antisemitische Gesinnung versteckt sie nicht. Aus ihren Reihen werden weiterhin Forderungen gestellt, jüdische Beamte in gesonderten Listen zu erfassen. Begründet wurden die Forderungen damit, dass Juden angeblich „ein nationales Sicherheitsrisiko für Ungarn“ darstellen.

 

17 Prozent erhielt Jobbik bei den letzten Parlamentswahlen. Den Wahlerfolg verdankt sie ihrem nationalistischen Kurs, der sich vorwiegend gegen Minderheiten richtet. Noch drückt sich der Hass durch verbalen Zungenschlag aus, es kam jedoch auch bereits zu ersten gewaltsamen Übergriffen. In Budapest wurden beispielsweise zwei Repräsentanten der dortigen Gemeinde beschimpft und anschließend überfallen. Rechtsextreme Fußballfans schlugen den Chef der ungarischen Raoul-Wallenberg-Gesellschaft Ferenc Orosz während eines Fußballspiels im Budapester Ferenc Puskás Stadion zusammen, brachen ihm seine Nase, riefen „Sieg heil“ und grölten Lobeshymnen auf Benito Mussolini, den italienischen Faschistenführer.

 

Zunehmend unverhohlen tritt der Antisemitismus ans Tageslicht. Das fällt auch während des Ungarn-Besuchs für diesen Beitrag auf. Aus fahrenden Autos heraus halten rechtsradikale Jugendliche Spruchbänder mit judenfeindlichen Parolen aus den Fensterscheiben, teilnahmslos schauen Passanten den Fahrzeugen nach und auch aus den anliegenden Cafés werden Blicke auf die Straße geworfen, aber niemand scheint sich wirklich daran zu stören. „Seit Jobbik vor drei Jahren ins Parlament einzog, breitet sich verbaler Hass immer mehr in der Gesellschaft aus“, berichtet Ferenc Orosz. Ungehindert verteilen rechtsextreme Jobbik-Anhänger Flugblätter. In Bahnhöfen, auf großen Plätzen und Märkten stehen Jobbik-Stände. Dort wird die kostenlose rechtsradikale Jobbik-Zeitung angeboten und mit persönlichen Gesprächen versucht, neue Anhänger zu gewinnen.

 

Zögerliche EU

Bislang nimmt die EU die Vorgänge in Ungarn nur halbherzig wahr. So blieb es bislang nur bei Ermahnungen. EU-Justizkommissarin Viviane Reding forderte im Mai Ungarns Ministerpräsident Orbán auf, nicht tatenlos zuzuschauen, der konnte jedoch beschwichtigen: „Die neue von uns geschaffene Verfassung gibt den mit uns lebenden Ungarn und anderen Minderheiten Schutz, Sicherheit, menschliche und gemeinschaftliche Würde“.

 

Doch gerade diese Verfassungsänderung, mahnt Reding, entmachtet das ungarische Verfassungsgericht, das mit Inkrafttreten nur noch über Verfahrensfragen, nicht jedoch mehr über Inhalte entscheiden dürfe. Damit würde Orbáns rechtskonservative Fidesz-Partei mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament nun auch die Möglichkeit erhalten, die Pressefreiheit einzuschränken sowie die Unabhängigkeit der Zentralbank, des Justizwesens und weiterer staatlicher Institutionen zu beschneiden. Sollten sich ihre Befürchtungen bewahrheiten, droht EU-Justizkommissarin Reding, die eine Überprüfung beantragte, mit einer drastischen Kürzung der EU-Hilfen. 

 

Jobbik-Partei und Antisemiten demonstrieren ungestört gegen die Tagung des WJC 

Ungarns Rechtsruck sowie die Verschlechterung der Lebensbedingungen der dortigen jüdischen Bevölkerung geriet nun verstärkt in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Vor allem jüdische Organisationen sind besorgt. Deshalb beschloss der Jüdische Weltkongress seine Vollversammlung nicht wie sonst in Jerusalem abzuhalten, sondern dieses Mal in Budapest. Einerseits demonstrierte man somit Solidarität mit den ungarischen Juden, zum anderen wurde der mediale Blick auf die Situation in Ungarn gelenkt.

 

Auch im Vorfeld der WJC-Tagung rief die rechtsextreme Jobbik-Partei zu einer Protestkundgebung auf. Am Vorabend der Plenartagung demonstrierten ihre Anhänger mit Parolen wie „Juden raus“, „Ungarn gehört uns“ und mit Plakaten, die zum „Gedenken“ an die „Opfer des Bolschewismus und Zionismus“ aufforderten. In seiner Rede verlangte Jobbik-Anführer Gábor Vona den Rücktritt jüdischer Parlamentarier sowie Beamter und hetzte gegen den israelischen Staat, der einen „Genozid“ an den „Palästinensern begeht“. Während Jobbik als drittstärkste Fraktion im ungarischen Parlament sitzt und ihre Hetzaktion offiziell angemeldet und genehmigt wurde, stand ein etwa zwanzig Mann starker Trupp der „Ungarischen Garde“ Spalier.

 

Dieser ist der paramilitärische Arm der Jobbik, der zwar verboten ist, dennoch sich unbehelligt zeigte, dabei Hakenkreuze und weitere rechtsextremistische, zum Teil eindeutig faschistische Symbole trug und dabei rechtsradikale Parolen krakelte. Gegen ihre Spontanaktion gab es einige, unbedeutend gebliebene, vereinzelte Gegenproteste.

 

„Ein geballter Protest gegen den Judenhass im Magyarenland 

Die 14. Vollversammlung des WJC (World Jewish Congress) in Budapest abzuhalten, war ein geballter Protest gegen diesen Judenhass im Magyarenland. „Unser Plan die Weltöffentlichkeit auf die Ereignisse in Ungarn aufmerksam zu machen, ist aufgegangen“, betonte Dr. Dieter Graumann. Über 200 Journalisten aus der ganzen Welt berichteten über den Kongress, dessen Schwerpunkt der gewachsene Antisemitismus in Ungarn und anderen Staaten Europas war. Politiker und Parlamentarier aus mehreren Nationen waren als Beobachter und Redner gekommen, neben 600 Delegierten aus hundert Ländern Europas, Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. 

 

Guido Westerwelle: „Wahrung der Wertegemeinschaft in Europa“ 

Mit klaren, kämpferischen Worten kritisierte der deutsche Außenminister Dr. Guido Westerwelle die „Fehlentwicklungen“ in Ungarn. Antisemitismus habe „weder in Berlin, noch in Budapest, noch sonst wo in Europa oder in der Welt einen Platz“. Der Kampf gegen Antisemitismus in all seinen Facetten „geht alle an“, betrifft es doch „die Wahrung der Wertegemeinschaft in Europa“. Deutlich war der Appell an alle Mitglieder der Europäischen Union Verantwortung zu übernehmen und ihre ganze Kraft gegen jegliche Form fremdenfeindlicher und antisemitischer Bestrebungen einzusetzen, denn letztendlich ist die EU mehr als „nur ein gemeinsamer Markt“. Es gilt auch „die Werte, die uns in Europa zusammenführen“ zu schützen. Mit stehenden Ovationen bedankten sich die Delegierten, das geschieht selten bei einer Plenartagung des Jüdischen Weltkongresses.

 

Viktor Orbán versucht zu verharmlosen Die Delegierten sind enttäuscht 

Enttäuschend und frustrierend war der Auftritt des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Er versuchte zu nivellieren, die vorhandenen Probleme zu verharmlosen. Mit keinem Wort erwähnte er die rechtsextreme Jobbik-Partei und ging auch nicht auf deren antisemitisch geprägte Demonstration am Vorabend der Plenartagung ein. Lapidar meinte er zwar: „Wir haben eine moralische Pflicht zur Null-Toleranz gegen Antisemitismus“, ohne dabei greifbare Maßnahmen zu erwähnen. Zwar suche seine Regierung nach Lösungen, erklärte Orbán. „Ganz Europa muss sich fragen, wie es zu dieser wirtschaftlichen Krise kommen konnte, die die Grundlage abgibt für Frustration, Wutreaktionen und Hassgefühle“ und begann dann die Entwicklung in Ungarn mit anderen Ländern zu vergleichen. Der zunehmende Antisemitismus sei „eine Folge der Wirtschaftskrise“ und ein „europaweites, nicht speziell ungarisches Problem“. Er verwies auf Frankreich, wo es „viel schlimmer sei als in Ungarn“ nach „Griechenland oder Deutschland“. Eine Antwort auf WJC-Präsident Lauders Bitte „die ungarischen Juden brauchen Sie, um den Kampf gegen diese dunklen Kräfte aufzunehmen“, blieb Orbán schuldig, obwohl er kurz vor der Vollversammlung noch beteuert hatte, hart gegen Antisemitismus im eigenen Land vorzugehen.

 

Orbáns Kurs, die Schuld des erstarkten ungarischen Rechtsradikalismus Europa in die Schuhe zu schieben, eine Rücksichtnahme auf politische Veränderungen einzufordern und somit gleichzeitig nicht Stellung gegen Jobbik beziehen zu müssen, riecht nach politischem Kalkül. Auf lokaler und regionaler Ebene arbeitet bereits jetzt seine Fidesz Partei mit Jobbik zusammen. Auch diese Entwicklung innerhalb der eigenen Partei beeinflusst Orbáns Politik. Vor gar nicht allzu langer Zeit zeichnete die ungarische Regierung unter seiner Führung drei als Antisemiten und Rechtsextremisten bekannte Personen mit hohen Verdienstorden aus.

 

Es war Sonntag, als Victor Orbán vor dem Jüdischen Weltkongress auftrat und er hielt „eine Sonntagsrede“ witzelte WJC-Vizepräsident Dr. Dieter Graumann, eigentlich „hätte er auch zuhause bleiben können.“ Enttäuscht waren fast alle. „Die EU sollte darauf drängen, dass Ungarn die verbindlichen demokratischen und rechtsstaatlichen Regeln der Gemeinschaft anerkennt und einhält“, betonte der Schweizer SIG-Präsident Dr. Herbert Winter und auch der israelische Minister Silvan Schalom, der ebenfalls als Redner auftrat, zeigte sich empört über Victor Orbáns nivellierende Darstellung der magyarischen Zustände. 600 Delegierte aus 100 Ländern waren sich darüber einig, dass Orbáns halbherzige Worte gut zu seinem oft gezeigten widersprüchlichen Umgang mit antisemitischen Ereignissen in Ungarn passen.

 

Solch negative Berichterstattung, vor allem in westeuropäischen Publikationen, in Radio- und Fernsehsendungen gefiel der ungarischen Regierung gewiss nicht. Zumal sich das wirtschaftlich marode Land um EU-Fördergelder bemüht. Auch jetzt hatte sich Orbán in Ungarn nicht von der rechtsextremistischen Hetze der Jobbik-Anhänger ernsthaft distanziert und wieder mal keine klaren Zeichen gesetzt. Die EU-Fraktion der „Europäischen Volkspartei EVP“, einer Vereinigung der konservativen europäischen Parteien, drohte bereits, die ungarische Fidesz-Partei auszuschließen.  

 

Schauprozess im Eilverfahren 

Noch während die Weltöffentlichkeit auf Ungarn schaute, wurden drei junge Neonazis verurteilt. Für sie hatte dieser Schauprozess wenig Konsequenzen. Sie hatten vor dem Tagungshotel „Sieg Heil!“ gerufen und rassistische Drohungen ausgestoßen, als die Delegierten vom Besuch der Synagoge zurück kamen. Nur drei Tage später wurden sie schon vor Gericht gestellt und verurteilt. Einer von ihnen, der auf Bewährung wegen eines Drogendelikts draußen war, wurde zum Verbüßen seiner dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die anderen beiden kamen auf Bewährung frei. 

 

Rücktritt des Präsidiums des ungarischen Dachverbandes 

Rückendeckung hatte Victor Orbán während der Plenartagung von Péter Feldmájer, dem Präsidenten von MAZSIHISZ, Ungarns jüdischer Dachorganisation, und dessen Präsidium erhalten. Ernsthaft behaupteten sie, es gäbe keine wirkliche antisemitisch geprägte Bedrohung. Das war den ungarischen Juden dann doch zu viel. Schleunigst wurde eine Vollversammlung einberufen, in der dem Präsidenten von MAZSIHISZ das Vertrauen entzogen wurde. Péter Feldmájer musste sofort sein Amt niederlegen. Mit ihm trat das gesamte Präsidium zurück, bis auf Geschäftsführer Gusztáv Zoltai, der nun MAZSIHISZ kommissarisch bis zur nächsten Wahl leitet. Noch in diesem Sommer werden die ungarischen Juden und Jüdinnen einen neuen Präsidenten des ungarisch-jüdischen Dachverbandes wählen sowie zwei Vizepräsidenten und elf Präsidiumsmitglieder. Von ihnen erhofft sich die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas mit rund 150.000 Mitgliedern mehr Mut und bessere Durchsetzungskraft auch gegen die regierenden Jobbik und Fidesz. Die Solidarität der jüdischen Welt ist ihnen gewiss.

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