LEBEN EINHAUCHEN

INTERVIEW MIT RABBINER PINCHAS GOLDSCHMIDT, PRÄSIDENT DER EUROPÄISCHEN RABBINERKONFERENZ

Pinchas Goldschmidt ist nicht nur Moskaus Oberrabbiner und Vorsitzender des dortigen von ihm ins Leben gerufenen Beth Din, sondern seit 2011 auch Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, die ihren Hauptsitz in London hat. Quer durch Europa reist Rabbiner Goldschmidt, wenn es darum geht, neues jüdisches Leben aufzubauen oder Probleme, die jüdische Gemeinden vor Ort mit den jeweiligen Regierungen haben, zu lösen. Ob in Warschau, Brüssel, Straßburg, London, Berlin, Moskau, Paris oder New York – Rabbiner Goldschmidt scheut sich nicht von Auseinandersetzungen, knüpft Kontakte und Verbindungen zum Wohl eines wiedererstarkten orthodoxen Judentums. Kürzlich war er in Speyer anlässlich der Eröffnung der dortigen Synagoge.

Seit 2011 ist Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt auch Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz „CER“.
Seit 2011 ist Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt auch Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz „CER“.

Jüdisches Europa: Weshalb kamen Sie hierher?

Rabbiner P. Goldschmidt: In Speyer erleben wir gerade die Wiedergeburt einer der ältesten jüdischen Gemeinden der Welt und, dass eine neue Synagoge gebaut wurde, macht mich zuversichtlich.

 

Jüdisches Europa: Doch fehlt ein ständig anwesender Rabbiner. Auch gibt es weder einen Chasan noch Religionslehrer.

Rabbiner P. Goldschmidt: Ein Rabbiner ohne Synagoge ist wie eine Synagoge ohne Rabbiner. Gerade deshalb unterstützt die Europäische Rabbinerkonferenz auch die Ausbildung von jüdischen Geistlichen, um unseren neuen jüdischen Gemeinden, die in West – wie vor allem in Osteuropa entstehen, Leben einzuhauchen.

 

Jüdisches Europa: In Berlin wurde vor einigen Jahren das von der Ronald S. Lauder Foundation geförderte Hildesheimer-Rabbinerseminar neu gegründet. Bei der Ordination der Absolventen ist neben Mitgliedern der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands auch immer eine große Delegation der Europäischen Rabbinerkonferenz anwesend.

Rabbiner P.Goldschmidt: Deutschland ist der interessanteste Platz in Europa. Die überwiegende Zahl der Gemeindemitglieder sind russische Juden und befinden sich gegenwärtig im Prozess der Integration. In der Sowjetunion waren sie einzelne Juden, jetzt aber lernen sie eine jüdische Gemeinschaft kennen, deren Basis die gemeinsame Tradition und Religion ist. Ich selber bin seit 15 Jahren Mitglied im Board der Ronald S. Lauder Foundation und wir haben nicht nur Rabbinerseminare, in denen Rabbiner für ganz Europa ausgebildet werden, sondern auch Schulen aufgebaut, sowie jüdische Kindergärten in Leipzig und Berlin und zwei in Russland. Ein Drittel der Kosten steuert die Europäische Rabbinerkonferenz bei. Auch bieten wir Seminare im Internet an und helfen mittels moderner Medien Rabbinern bei ihrer Gemeindearbeit, so beraten wir unter anderem auch im Bereich der Psychologie.

 

Jüdisches Europa: Das ist auch wichtig für die Akquirierung von Spenden.

Rabbiner P. Goldschmidt: Ein Rabbiner darf sich nicht als Angestellter betrachten. Vielmehr soll er eigene Initiativen entwickeln, um die Gemeinde zu führen. Fundraising ist sehr wichtig. Oft sind vermögende Personen schneller bereit, ihrem Rabbiner eine größere Summe zu geben, als dem Gemeindepräsidenten.

 

Jüdisches Europa: Was geschieht mit dem Geld?

Rabbiner P. Goldschmidt: Es gibt viel zu tun. Zum Beispiel benötigen wir dringend finanzielle Mittel, um mit der Jugend zu arbeiten oder Schabbaton zu organisieren. In Osteuropa erhalten immer noch gerade mal sieben Prozent der Kinder und Jugendlichen eine jüdische Erziehung. Hier unterstützen wir die Gemeinden auf lokaler Ebene. Auch soll unser Erziehungssystem noch professioneller werden.

 

Jüdisches Europa: In Ungarn nimmt der Antisemitismus gegenwärtig offene Gestalt an.

Rabbiner P.Goldschmidt: Nicht nur dort. Die Gewährleistung der Sicherheit für unsere Schulen und Synagogen ist ein großes Problem. In Deutschland und Frankreich unterstützt uns der Staat mit seinen Sicherheitsbeamten. In fast allen anderen Ländern dagegen müssen unsere Gemeinden die Kosten selber tragen. In England, einem Land, das in den letzten Jahrhunderten uns Juden offen zugewandt war, gibt es, angeführt von extremen Linken, Gewerkschaftskreisen und akademischen Gruppierungen in den Universitäten immer wieder Attacken gegen uns als Nation, als Volk oder Gemeinde.

 

Jüdisches Europa: Dazu zählt auch das Schächtverbot.

Rabbiner P. Goldschmidt: Wir als Europäische Rabbinerkonferenz setzen uns gegen ein solches Verbot ein. Doch das rituelle Schlachten ist nicht unsere einzige Sorge. Nach Finnland fordert nun in den Niederlanden die königliche Vereinigung für Medizin ebenfalls ein Verbot der Brith Mila. Wir seien gegenüber unseren Kindern gefühllos, heißt es. In Wahrheit jedoch wollen sie die Ausübung unserer religiösen Vorschriften verbieten und zielen auf unsere Menschenwürde.

 

Jüdisches Europa: Doch die Europäische Rabbinerkonferenz wehrt sich dagegen.

Rabbiner P.Goldschmidt: Kürzlich haben 150 Rabbiner aus ganz Europa an der ersten Rabbinerkonferenz in Warschau teilgenommen. Wir diskutierten über viele wichtige Probleme. An vorderster Stelle standen dabei die Schächt- und Beschneidungsverbote. Unsere Aufgabe ist die Verteidigung der jüdischen Interessen in Europa auf allen Gebieten. Wir treten für die Umwandlung vergessener Massengräber des Holocaust in Osteuropa in würdige Grabstätten ebenso ein wie für den Bau von Mikwot und die Erziehung unserer Jugend zur jüdischen Tradition und Religion. Die Renaissance des Judentums in Ost- aber auch in Westeuropa, die Hinwendung zu Tora und Talmud, ist unser Ziel.