ES GIBT VIEL ZU TUN

GENERATIONSWECHSEL IM ZENTRALRAT DER JUDEN IN DEUTSCHLAND

Präsident Dr. Dieter Graumann (Mitte) mit den beiden Vizepräsidenten Dr. Josef Schuster (l.) und Prof. Dr. Salomon Korn (r.)
Präsident Dr. Dieter Graumann (Mitte) mit den beiden Vizepräsidenten Dr. Josef Schuster (l.) und Prof. Dr. Salomon Korn (r.)

 

Mit stehenden Ovationen verabschiedeten die Delegierten Charlotte Knobloch. Die 78-Jährige hatte sich entschlossen, nicht weiter für das Amt der Präsidentin des Zentralrates zu kandidieren. Damit endete die Ära einer erfahrenen Verfechterin für die Belange der jüdischen Welt.

 

Unter ihrer Führung war die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, wie sie betont, „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Davon zeugt auch der Bauboom von Gemeindehäusern und Synagogen, in München, sowie in allen Bundesländern. Mit großem Engagement widmete sie sich dem Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Vehement trat sie stets gegen Vergessen, für die Erinnerung an den Holocaust ein.

 

Ihr Nachfolger, Dr. Dieter Graumann dagegen wurde nach dem Krieg geboren und ist damit der erste Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, der den Holocaust nur aus Erzählungen der Eltern und Großeltern kennt. Gleiches gilt auch für seinen Stellvertreter Dr. Josef Schuster. Der wieder gewählte Vizepräsident Prof. Dr. Salomon Korn überlebte die Schoa noch als Kind im Versteck mit seinen Eltern. Dennoch hat mit Dr. Graumann und Dr. Schuster ein Generationswechsel an der Spitze des Zentralrates stattgefunden.

 

Eine „Brise von frischem Wind“ möchte Graumann in die Debat ten bringen. „Ohne die Vergangenheit zu vergessen, wollen wir nach Vorne schauen, ein pluralistisches Judentum“ leben, erklärt er, nicht mehr diejenigen sein „die gegen etwas sind, sondern vor allem die, die für etwas stehen und etwas bewegen wollen“.

 

Kein „Moralwächter“ oder „Dauermahner“ soll der neue Zentralrat sein. Was aber kein Abschied von der Erinnerungskultur bedeutet, dazu sind die Wunden der Schoa zu tief in jeden jüdischen Menschen geschlagen, auch in die Kinder und Kindeskinder der Holocaustüberlebenden, die fast alle das Leid ihrer Eltern und Großeltern verinnerlicht haben. Trotzdem, warnt nun Graumann, darf der Holocaust nicht zu einer „neuen jüdischen Ersatzidentität werden“. Es sind Worte, die an die jüdische Gemeinschaft gerichtet sind. Judentum betont er für die Ohren der gesamten Gesellschaft, bedeutet „eben nicht immer nur Verfolgung und Elend und Katastrophen“, sondern ist heute auch „herzlich und immerzu begeistert dem Leben zugewandt“. Auch will der Zentralrat sich mehr als bisher in aktuellen gesellschaftlichen Debatten zu Wort melden.

 

Graumanns Stellvertreter Prof. Dr. Salomon Korn ist jetzt bereits in der dritten Präsidentschaftsperiode Vizepräsident. 15 Jahre haben er und Graumann bereits zusammen gearbeitet. Beide, Graumann und Korn, kommen aus Frankfurt, aus einer Großgemeinde. Anders dagegen Vizepräsident Dr. Josef Schuster, ein Internist aus Würzburg. Mit 56 Jahren ist der in Israel geborene Arzt jüngstes Präsidiumsmitglied und zugleich Repräsentant der kleineren Gemeinden, die oft vor völlig anderen Problemen stehen, als die Großgemeinden. Nach dem plötzlichen Tod von Nathan Kalmanovicz s. A. übernahm er dessen Aufgaben im Bereich Kultus. „Die unterschiedlichen Strömungen mit ihrer Vielfalt in der Einheit des Zentralrates zusammen zu fassen“, sieht er auch weiterhin als einen sehr wichtigen Aspekt seiner künftigen Arbeit.

DR. DIETER GRAUMANN

PRÄSIDENT DES ZENTRALRATES DER JUDEN IN DEUTSCHLAND

Es war Ignatz Bubis s. A., der den jungen Dieter Graumann für die Politik begeisterte, zuerst im Gemeinderat der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, später dann im Zentralrat der Juden in Deutschland. 1950 wurde Graumann in Ramat Gan, in Israel, geboren. Seine Eltern, beide Holocaust-Überlebende, hatten sich nach dem Krieg im DP-Lager Zeilsheim kennen gelernt. Als die Mutter schwanger wurde, zog das junge Paar nach Israel. Doch der Vater, der sechs Konzentrationslager überlebt hat, war körperlich sehr geschwächt und ertrug das Klima nicht. So kam die Familie 1952 mit dem kleinen, fast 2-jährigen Sohn wieder nach Frankfurt zurück, wo er aufwuchs und auch zur Schule ging. „Ab jetzt heißt du Dieter“, erklärten die Eltern dem kleinen David. Nur nicht auffallen, hieß ihre ängstliche Devise, vertuschen, dass sie Juden sind. Doch der Sohn sah das anders. Nach seiner Religionszugehörigkeit gefragt, erklärte er schon am ersten Schultag voller Stolz „jüdisch“. weiter