Von Tumah zu Tahara

Die Mikwe im Wandel der Zeit

  • Auch Männer tauchen in der Mikwe unter, vor allem kurz vor Jom Kippur. Foto: Herlich

  • 1260 wurde die am besten erhaltene mittelalterliche Mikwe Europas in Friedberg erbaut.

  • Eine integrierte Mikwe ist im modernen Gemeindezentrum in Mainz noch nicht vorhanden.

Was soll eine Finanzschwache Jüdische Gemeinde als erstes machen, eine Torarolle kaufen, eine Synagoge bauen oder eine Mikwe? Die Antworten sind unterschiedlich, liberale Juden geben der Torarolle die Priorität, während die Orthodoxen den Bau einer Mikwe für das Wichtigste halten. Doch noch immer wird in der Praxis zuerst eine Synagoge gebaut.

 

„Kurz vor den Hohen Feiertagen drängen sich Männer wie Frauen vor den Mikwaot. Jeder will im lebendigen Wasser untertauchen, den angesammelten spirituellen Schmutz abstreifen.

 

„Die Mikwe ist wichtiger als eine Synagoge, betont Manfred de Vries, stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim und Gründungsmitglied des „Bundes Traditioneller Juden“. Die Mikwe, so de Vries, „garantiert die Kontinuität des Judentums“. Ohne Mikwe „gibt es keine nächste jüdische Generation“.  

 

„Frauenbad“ nannte man im Volksmund oft die Mikwaot. Zwar gehen ab und zu auch Männer ins Tauchbad, vor ihrer Hochzeit, vor Jom Kippur oder vor dem Schabbat, doch regelmäßig genutzt wird die Mikwe von den Frauen. Nicht nur vor ihrer Hochzeit, auch nach einer Geburt und nach jeder monatlichen Blutung sind jüdische Frauen verpflichtet, in die Mikwe zu gehen und mit ihrem ganzen Körper im Wasser unterzutauchen. Erst dann ist ihnen ein intimes Miteinander mit dem Ehemann wieder erlaubt.

 

In Bad Nauheim wird die alte Mikwe restauriert  

Bad Nauheim hat eine schöne Synagoge. 1928 im Bauhausstil errichtet, steht sie heute unter Denkmalschutz. Integriert war von Anfang an auch eine Mikwe. Früher, als im Sommer noch viele Kurgäste aus Israel und Amerika anreisten, erinnert sich Vizevorsitzender Manfred de Vries, war die Bad Nauheimer Mikwe ständig in Benutzung. Doch dann gingen die Rohre, die das Regenwasser nach unten transportierten, entzwei. Jetzt wird renoviert. Im Herbst 2013 soll sie wieder benutzbar sein. Hausrabbiner Unger macht die Abnahme und garantiert, dass alles koscher ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der Wetterau engagierten sich gleich drei Städte für ein gemeinsames Projekt des Denkmalschutzes, neben der Stadt Bad Nauheim kam Geld auch vom benachbarten Friedberg und aus Butzbach sowie vom Landratsamt, freut sich de Vries.

 

Zweck der Mikwe ist nicht die körperliche Hygiene, sondern die spirituelle Reinigung. Waschbecken, Badewannen oder Duschen befinden sich im Vorraum jeder modernen Mikwe. Körperlich sauber steigen die Gläubigen dann in die Mikwe, in der sie vollständig untertauchen. Nichts Fremdes darf sich zwischen ihnen und dem Wasser befinden. Eheringe und anderer Schmuck wurde vorher abgenommen, Nagellack und Schminke entfernt, Perücken beiseite gelegt. Die Balanit, eine extra dafür von der Gemeinde bestellte Frau, bewacht den Vorgang der „Tewila“ des vollständigen Untertauchens der Jüdinnen, das auch alle Haare einschließt. Das Wasser im Becken ist „lebendig“. Es kann Quellwasser, sich ständig erneuerndes Grundwasser oder Regenwasser sein, das einen Zu- und Abfluss hat. Auch Fluss-, See- oder Meerwasser ist erlaubt. Im speziellen Mikwegebet wenden sich die Tauchenden an G‘tt. Spirituell den weltlichen Schmutz hinter sich gelassen, wurde aus der unreinen Frau eine reine, die diese Reinheit nun auch auf ihre Familie überträgt und so zur Hüterin und Bewahrerin der jüdischen Religion wird. Auch der Sofer muss erst in der Mikwe untertauchen, bevor er mit seiner Arbeit, handschriftlich eine Tora zu schreiben, beginnt. Ansonsten ist die Benutzung der Mikwe für Männer nicht vorgeschrieben, im Gegensatz zu den Frauen, für die der Gang in die Mikwe religiöse Pflicht ist.  

 

1260 wurde die Mikwe in Friedberg gebaut. Sie ist die größte Europas und steht unter Denkmalschutz, verfault jedoch zusehends  

Becken, in denen Wasser zum Erlangen der Tahara, der religiösen Reinheit, gespeichert wird, gibt es schon lange. Eine der ältesten Mikwaot aus dem 1. Jahrhundert wurde in Massada gebaut, in der Regenwasser gespeichert wurde. Noch erhalten sind frühmittelalterliche Tauchbecken in Worms, Speyer und Friedberg. Kürzlich entschied Rabbiner Posen, Europas Fachmann für Mikwaot, der eigens aus London nach Speyer kam, dass diese sogar heute noch rituell nutzbar ist. Ebenfalls im Originalzustand erhalten ist das 1260 in Friedberg gebaute jüdische Ritualbad. Es gilt heute als imposantester Mikwenbau Europas. 28 Meter tief in einen Basaltfelsen wurde der Schacht zum Grundwasser getrieben. 5,50 x 5,50 groß ist das tiefe quadratische Becken. Gotische Pfeiler mit Kapitellen, die dreiblättrige Pflanzen verzieren, die früher farbig bemalt waren, mehrere Säulen und die steinerne Treppe zeugen von der hohen Wertschätzung des kultischen Bades in früheren Zeiten. Spärlich ist das Bad mittels eines runden Lichtschachts beleuchtet. In Nischen befinden sich Stellmöglichkeiten für Kerzen. Ein erhabenes, fast mystisches Gefühl beschleicht den Besucher bei Betreten dieser religiösen Stätte. Doch obwohl sie unter Denkmalschutz steht, beginnt sie langsam zu verfallen. Modriger, unangenehmer Geruch empfängt den Besucher, der hier trotz des imposanten Anblicks nicht lange verweilen will. Grünlich von Schimmel sind die feuchten Wände. Die Kuppel, die Lüftungs- und Lichtschacht zugleich war, wurde mit einer Glaskuppel überdeckt. Jetzt zirkuliert die Luft nicht mehr und die Mikwe droht zu verfaulen.

 

Im Hinterhof eines Hauses, das sich früher ganz in der Nähe der Synagoge befand, die in der NS-Zeit zerstört wurde, vermittelt die Größe der Mikwe auch eine Ahnung von der mittelalterlichen Bedeutung Friedbergs für die damalige jüdische Gemeinschaft. Hier lebten bedeutende Rabbiner, deren Schriften in ganz Europa gelesen und diskutiert wurden. Auch der spätere berühmte Prager Rabbi Löw hatte seine Vorfahren in Friedberg, das damals nicht nur ein Kaisersitz, sondern auch eine bedeutende Messestadt war. Später übernahm Frankfurt die Position der internationalen Handelsmetropole und Friedberg versank in Bedeutungslosigkeit.

 

Heute gibt es keine jüdische Gemeinde in Friedberg und das „Frauenbad“ wurde ein Museum. Kalt ist das sich selbst erneuernde Grundwasser, etwa 7-8 Grad Celsius. Lange Zeit glaubte man, dass jüdische Männer und Frauen besonders abgehärtet waren. Doch bei der kürzlich ausgegrabenen und teilweise restaurierten mittelalterlichen Mikwe in Erfurt entdeckten Wissenschaftler, dass dort mittels heißer Steine, die in das Becken geworfen wurden, dieses so erwärmt wurde. Anzunehmen ist, dass auch andere historische Tauchbäder auf diese Weise ebenfalls erwärmt wurden und es eben keine „Kalten Bäder“ waren.

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