ARCHITEKTUR VOM FEINSTEN

VIRTUELLE RUNDGÄNGE DURCH ZERSTÖRTE SYNAGOGEN

Der Raum ist karg und voller technischer Geräte. Über einem Beamer wird eine DVD vom Computer auf eine Leinwand übertragen. Gezeigt werden Arbeiten von Studenten der Fachrichtung Architektur der TU Darmstadt. Es sind virtuelle Rundgänge durch Synagogen, die in der NS-Zeit zerstört wurden. Plötzlich nimmt Meir Schwarz, ein älterer Jude“ seine Kippa heraus und setzt sie sich auf den Kopf. Er hat das Gefühl, als stehe er mitten in diesem G´tteshaus. „Ja“, sagt er ganz aufgeregt, „so waren die Farben und der Aron Hakodesch stand ganz genau hier.“

Rasend hat sich die Computertechnologie entwickelt. Als 1989 die TU Darmstadt zum ersten Mal zu einem virtuellen Rundgang einlud – damals war es durch das Innere der Abtei Cluny – staunte die Welt.


Fünf Jahre später überraschte die gleiche TU unter Leitung von Prof. Manfred Koob mit studentischen Arbeiten, die Innenräume mehrerer Synagogen im Computer historisch genau wiedererstehen ließen. Noch waren die Bilder statisch. Doch die Arbeit ging weiter. Heute, im Jahr 2006, präsentiert die Architekturabteilung eine große Anzahl von DVD´s. Per Mausklick kann man den Betrachtungswinkel verändern, nach oben auf die Frauenempore klettern oder unten vor der Bima stehen. Doch die meisten DVD´s laufen wie ein film ab, umrahmt von synagogaler Musik. „3.000 Synagogen und Bethäuser gab es im Deutschen Reich“, erklärt Marc Grellert. Als Student hat er an dem Projekt mitgemacht, statische Innenräume der Synagoge virtuell aufzubauen. Jetzt schreibt er seine Doktorarbeit über „Gedächniskultur im immateriellen Raum“ und baute einen Internet-Recherchedienst auf.


Die CAD ist ein Studienfach innerhalb der Architektur-Fakultät. Die TU Darmstadt ist eine historisch alte Universität und hat nur einen Lehrstuhl für die moderne computergesteuerte Architektur. „Wir wollen ein politisches Zeichen setzen“, betont Prof. Manfred Koob, „sichtbar machen, was zerstört wurde.“


Anders als virtuelle Rundgänge durch den Petersdom oder den Moskauer Kreml sieht der Architekturprofessor in der wiederhergestellten Synagogenarchitektur auch einen Beitrag im Kampf gegen den Antisemitismus. „so zeigen wir, was Deutschland verloren hat“, mahnt er, „es ist unsere Erinnerung an den Holocaust und an die Ermordung von 6 Millionen europäischer Juden“. Eng zusammengearbeitet hat er von Anfang an mit Dr. Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland und Fachmann für Synagogen.

 

So authentisch wie möglich sind die zerstörten Synagogen im Rechner wieder aufgebaut. Das erfordert viel Zeit für die Recherche. Alte Bauzeichnungen wurden herangezogen, aber auch historische Fotos und immer wieder Augenzeugenberichte von Überlebenden. Welches Rot hatte die Aussenfassade der Münchner Synagoge? Wo genau stand der Aaron Hakodesch und welche Farbe hatte die Deckenbemalung und die Inneneinrichtung? Fragen, die nur Zeitzeugen beantworten können.

 

Es sind die Synagogen des 19. und 20. Jahrhunderts, die vorwiegend in Großstädten standen, die nun im Computer wieder auferstehen. Viele zeugen vom gewachsenen Selbstbewusstsein und dem Nichterkennen der drohenden Gefahr. Wie ein Dom sah die zerstörte Synagoge in Hannover aus. „Wer so baute, fühlte sich heimisch“, betont Prof. Koob. Majestätisch wirkte das Kölner G´tteshaus im maurischen stil, gewaltig die Berliner Synagoge Fasanenstraße, von der nur das erhaltene Portal heute den Eingang in die Jüdische Gemeinde zu Berlin schmückt.


„So prächtig war es im innern“ staunen viele Nichtjuden heute und jüdische Menschen freuen sich, ihren Kindern zeigen zu können, wo sie mit ihren Eltern einst beteten. „Das ist Architektur vom Feinsten!“ schwärmt Professor Koob.

 

60.000 Besucher kamen nach Bonn um in der Bundeskunstkunsthalle die Sonderausstellung mit einigen virtuellen Synagogen zu sehen. Anschließend wurde sie in Tel Aviv im Diasporamuseum gezeigt. Gern würde Prof. Koob die Arbeiten auch an anderen orten zeigen, doch leider hat sich bisher noch niemand weiter dafür interessiert.


Einblicke in das innere von 25 Synagogen und ihre Außenfassaden gibt es bereits. Alles ist historisch korrekt absichert, nichts der Phantasie überlassen“ sagt koob und hofft trotz Geldmangel noch weitere Synagogen demnächst virtuell entstehen zu lassen. Gegenwärtig jedoch arbeitet er mit seinem Team an einem immateriellen Rundgang durch das berühmte Grab eines chinesischen Kaisers.

 

Synagoge Köln, Glockengasse, 1861 bis 9. November 1938, 3D CAD Rekonstruktion
Synagoge Köln, Glockengasse, 1861 bis 9. November 1938, 3D CAD Rekonstruktion

A. von Loew