EINE NEUE CHANCE FÜR DEN DIALOG

Der Papst hat ein Buch geschrieben. Während der 1. Band seines Werkes "Jesus von Nazareth" für die jüdische Welt kaum von Belang ist, veröffentlichte er in seinem 2. Band "Jesus von Nazareth – Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung" Erkenntnisse, die das Verhältnis von Katholiken zu Juden auf eine völlig neue respektvolle und freundschaftliche Basis stellen, vorausgesetzt, der Papst setzt sich mit seinen Thesen in der Katholischen Kirche durch.

Es allen Seiten recht zu machen versucht Papst Benedikt XVI., der dabei allzu oft zwei verschiedene Gesichter zeigt. Diesmal reicht er der jüdischen Welt die Hand, ohne jedoch Holocaustleugner aus der Katholischen Kirche auszuschließen.
Es allen Seiten recht zu machen versucht Papst Benedikt XVI., der dabei allzu oft zwei verschiedene Gesichter zeigt. Diesmal reicht er der jüdischen Welt die Hand, ohne jedoch Holocaustleugner aus der Katholischen Kirche auszuschließen.

Jesus von Nazareth“ lautet der Titel des 2. Bandes, in dem sich Benedikt XVI. mit dem „Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung“ aus katholischer Sicht befasst.

 

Juden in der ganzen Welt jubeln. „Viele Jahrhunderte“, erinnert der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald S. Lauder, „litten Juden unter brutaler Verfolgung und Antisemitismus, weil Christen ihnen die Schuld und Verantwortung an der Ermordung Jesus Christus gaben – obwohl Jesus selber jüdisch war und seine Kreuzigung“ auf Befehl der „römischen Machthaber von Römern durchgeführt wurde.“

 

Mit dieser These von der jüdischen Kollektivschuld ist nun Schluss. Mutig untersucht Kirchenwissenschaftler Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. die historischen Gegebenheiten und stellt dabei eindeutig, klar und unmissverständlich fest, nur eine kleine Gruppe innerhalb der Elite der Jerusalemer Tempelpriester haben auf Jesus Tod hingewirkt, „aber nicht das jüdische Volk als solches“.

 

Papst Benedikt XVI.: „Die Tempel-Aristokratie ist der Kreis der Ankläger, die den Tod Jesu betrieben. Aber nicht das jüdische Volk als solches“

Diese Erkenntnis der katholischen Kirche ist längst überfällig. Sie kommt über 2.000 Jahre zu spät. Vom frühen Mittelalter bis Anfang des 20. Jahrhunderts zitterten jüdische Männer, Frauen und Kinder vor dem Karfreitag. Es war der Tag der großen Ausschreitungen und Pogrome. An diesem Tag wurden die Tore im Ghetto doppelt gesichert. Doch oft half es nicht. Aufgestachelt von antijüdischen Predigten in der Kirche rotteten sich Christen zusammen, um den Tod ihres Heilands gewalttätig zu rächen. Passionsspiele und Oratorien stachelten zusätzlich an und vor nicht allzu langer Zeit hörte ich eine strenggläubige Christin voller Überzeugung sagen: „Die Juden haben unseren Heiland umgebracht!“

 

Auch mit dem im Zusammenhang von Jesus Tod gebrauchten zentralen Worte: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ deutet Papst Benedikt XVI. nicht als Blutschuld, die gesühnt werden muss. Er sieht vielmehr in Christus ein Opfer, dessen Blut „eine andere Sprache spricht, als das Blut Abels. Es wird nicht „gegen“ jemanden vergossen, sondern es ist das Blut für Viele“. Das Matthäus-Wort vom Blut, fordert der Papst, muss ganz neu interpretiert werden. „Vom Glauben her gelesen, heißt es, dass wir alle die reinigende Kraft der Liebe brauchen, die sein Blut ist. Es ist nicht Fluch, sondern Erlösung. So gelesen, erhält das matthäussche Blutwort seinen richtigen Sinn.“

 

Ronald S. Lauder: „Dies muss Lehre der Kirche werden“

„Dies muss Lehre der Kirche werden“, fordert nun Ronald S. Lauder. Die Gedanken von Papst Benedikt XVI. sind nicht neu. Bereits sein Vorgänger Papst Johannes Paul II. gab 1965 auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil einen wichtigen Anstoß für eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Katholiken und Juden. In der Erklärung „Nostra Aetate“ betonte das Oberhaupt der katholischen Kirche eine geistige Verwandtschaft mit dem Judentum und sprach „von unseren Brüdern und Schwestern im Glauben“. Auch wandte er sich gegen jegliche Form des Antisemitismus, „im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus.“ Ebenfalls nahm das katholische Kirchenoberhaupt offiziell Abschied von der Vorstellung, Juden seien „Gottesmörder“. Benedikt XVI., damals noch Kardinal Ratzinger, hatte als Berater maßgeblich an diesem Dokument mitgewirkt.

 

Juden sind „unsere älteren Brüder“ betonte Johannes Paul II., als er als erster Pontifex in Rom eine Synagoge besuchte. In Israel unterzeichnete er 1993 einen Grundlagenvertrag und verdammte „alle Angriffe auf Juden, sowie die Entweihung jüdischer Synagogen und Friedhöfe – Taten, welche die Erinnerung an die Opfer des Holocaust beleidigen“. 1994 nahmen der Vatikan und Israel diplomatische Beziehungen auf.

 

Auch sein Nachfolger Papst Benedikt XVI. begann in seinem Sinn anfangs fortzuwirken. 2005 nahm er am Weltjugendtag in Köln teil. Es war seine erste Auslandsreise, auf der er zugleich auch die Kölner Synagoge besuchte. Damals wie heute betonte er, wie wichtig ihm Schritte zur Verbesserung des Verhältnisses der Kirche zum jüdischen Volk seien.

 

Italienische Rabbiner protestieren: „Er lasse es an Respekt gegenüber Andersgläubigen mangeln“

Viele jüdische Persönlichkeiten waren bewusst weggeblieben. Unter ihnen auch der damalige Sprecher der Deutschen Rabbinerkonferenz Joel Berger. „Unsere Weisen blieben beim Kuss Esaus für Jakob auch skeptisch“, mahnte er zur Vorsicht. Nicht er wurde vom Vatikan zum Sprechen in der Synagoge genehmigt, sondern nur der Kölner Plündern und Morden während eines Pogroms, Kupferstich von Matthäus Merian aus dem Jahr 1628. Gemeinderabbiner. Auch der damalige Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel s.A. durfte nicht vor dem Papst in der Synagoge reden, sondern nur der Vorsitzende der Kölner Synagogengemeinde Ebi Lehrer. Paul Spiegel s.A., oberster Repräsentant der Juden in Deutschland, ergriff nicht das Mikrofon, sondern blieb auf seinem Platz in der 1. Reihe sitzen. Es protestierte niemand, dass er lediglich als Vorletzter dem Papst die Hand drücken durfte. Für Charlotte Knobloch, die damals auch Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses war, hatte das päpstliche Protokoll eine öffentliche Begegnung erst gar nicht vorgesehen.

 

Er lasse es an „Respekt gegenüber Andersgläubigen mangeln“, kritisierten 2009 italienische Rabbiner Papst Benedikt XVI. Er sei „nicht am Gespräch mit dem Judentum interessiert“, protestierte Elia Enrico Richetti, Oberrabbiner von Venedig und warf dem Papst vor, er wolle die vergangenen 50 Jahre, die eine Annäherung an das Judentum brachten, streichen. So wie er empfanden auch die Rabbiner anderer italienischer Gemeinden und boykottierten den traditionellen Tag des Judentums, den die italienische Bischofskonferenz ausrichten wollte.

 

Vorangegangen war eine Rückwärtsbewegung des Vatikans in der Frage der Osterliturgie und damit eine enorme Verschlechterung der Beziehung zu den Juden. Bereits am 2. Februar 1925 hatte Franziska van Leer, eine zum katholischen Glauben konvertierte Jüdin aus den Niederlanden, sich an den Heiligen Stuhl gewandt. Sie bat um die Änderung eines Gebetes, das am Karfreitag in jeder katholischen Kirche seit dem 6. Jahrhundert zelebriert wurde, in dem G‘tt gebeten wird, Juden endlich „den Schleier von ihren Herzen“ weg zu nehmen, damit sie „Jesus Christus als Heiland“ anerkennen, was auch als Aufruf zur Mission verstanden wurde. Der Papst lehnte ihren Vorschlag ab. Doch sie gab sich nicht damit zufrieden und gründete 1926 die katholische Gruppe „Amici Israel“. 1928 zählten bereits 3.000 Priester, 287 Bischöfe und 19 Kardinäle zu dieser Gruppierung. Sie wandten sich gegen die antijüdischen Ausbrüche der Kirche, darunter die Legende vom Gottesmord, Ritualmord und der Hostienschändung. Doch ein päpstliches Dekret verbot diese Reform. Erst nach dem Holocaust wurde die Änderung der Fürbitte erneut in Rom diskutiert. Wieder dauerte es mehrere Jahre bis dann 1962 Papst Johannes XXIII., der als apostolischer Gesandter in Ungarn slowakischen, bulgarischen und ungarischen Juden zur Flucht vor der SS geholfen hatte, den Vorschlägen der „Amici Israel“ folgte. Diese Reform führte Papst Johannes Paul II. weiter, als er 1965 die „Nostra Aetate“ verkündete. 1974 betonte die deutsche Bischofskonferenz erneut die Bitte um die Treue der Juden „zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.“

 

Ein solches freundschaftliches Aufeinander Zugehen beflügelte den Dialog nicht nur auf Regierungsebene mit dem Vatikan, sondern auch zwischen Juden und Katholiken auf unterer, regionaler Ebene. Doch plötzlich, wie aus heiterem Himmel, wurde diese Entwicklung gestoppt.

 

„Wenn wir mit Religionen in den Dialog treten, geht es nicht anders, als dass wir das Evangelium als Grundlage anbieten. Worüber sonst sollten wir sprechen?“

Der neue Papst Benedikt XVI. setzte sich mit aller Macht für eine Einheit der katholischen Kirche ein, die mittlerweile an den Rändern auseinander bricht. Er nahm dabei keine Rücksicht auf die neue katholisch-jüdische Freundschaft, die vor einer ernsthaften Zerreissprobe stand. So genehmigte er 2008 verschiedenen Gemeinden die alte Judenfürbitte, wie sie vor der Nostra Aetate bestand. Reaktionären Geistlichen entgegen kommend, erklärte der Oberhirte: „Was früheren Gemeinden heilig war, bleibt auch uns heilig und groß, es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein“. Die Gruppe der Redemptoristen war begeistert, begrüßte „mit bereitwilligem Gehorsam“ die Rückwärtsbewegung und krochen in den Schoß der katholischen Kirche zurück. Di Segni, Roms Oberrabbiner, reagierte entsetzt, wie Juden auf der ganzen Welt. Charlotte Knobloch, damals Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, betonte, dieser Rückschritt ist „eine subtile Aufforderung zur Judenmission“. Jüdische Referenten, unter ihnen Rabbiner Alter und Micha Brumlik, sagten ihre Teilnahme als Redner auf dem nächsten Katholikentag ab. Doch die Gegner der Annäherung von Kirche und Judentum waren begeistert. „Wenn wir mit Religionen in den Dialog treten, geht es nicht anders, als dass wir das Evangelium als Grundlage anbieten. Worüber sonst sollten wir sprechen?“, erklärte klar und deutlich der Bamberger Erzbischof und Vorsitzender der Kommission Weltkirche der deutschen Bischofskonferenz anlässlich der Vorstellung des neuen „Institutes für Weltkirche und Mission“ in Frankfurt. Höhepunkt der Kehrtwendung des Vatikans war die Aufnahme der Priesterbruderschaft Pius X., die, wie deren Pater Franz Schmidberger betont, die Auffassung vertritt: „Die Juden sind nicht unsere älteren Brüder im Geiste, wie der Papst in seinem Synagogenbesuch in Rom behauptete, sie sind vielmehr des Gottesmordes mitschuldig“ und Generalvikar Bernhard Fellay meinte „wir sehen mit Trauer Papst Johannes Paul II. und nun auch Papst Benedikt XVI. in eine jüdische Synagoge gehen“. Zu dieser Bruderschaft gehört auch der britische Bischof Williamson, der nachweislich ein Holocaustleugner ist, und der in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird.

 

„Dennoch gibt es keine Alternative zum Dialog“ – Dr. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland

Die jüdische Welt reagierte empört. „Ein Schritt, der die gesamte Kirche verseucht“, urteilte Rabbiner David Posen, der aktiv im katholisch-jüdischen Dialog tätig ist. „Es ist eine tiefe Wunde entstanden“, warnte Dr. Dieter Graumann, heutiger Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland und betonte weiter „dennoch gibt es keine Alternative zum Dialog“. Auch der Vatikan wollte den Dialog nicht ganz abbrechen. So lud er 2009 jüdische Persönlichkeiten aus der ganzen Welt nach Rom zur Weihbischofssynode, auf der Haifas Oberrabbiner Schear Jaschuw Cohen über die Koexistenz referierte. Es war das erste Mal in der Geschichte der katholischen Kirche, dass ein Jude auf einer solchen Synode sprach, die Cohen als „ein Signal der Hoffnung“ ansah. Unter den Gästen waren auch der Präsident des CRIF aus Frankreich und Vertreter des Jüdischen Weltkongresses. Seitdem gab es viele Gespräche. Doch auch Vertreter einer progressiven Richtung im Katholizismus trugen zu einer Neubelebung einer christlich-jüdischen Annäherung bei. „Lasst uns beten für die Juden, dass G‘tt sie in seiner ewigen Treue bewahre und in der Liebe zu seinem Namen erhalte“, heißt es seit 2008 in der Christkatholischen Kirche in der Schweiz und auch die Altkatholische Kirche in Deutschland wie in Österreich haben längst die Judenfürbitte aus ihrem Gebetbuch entfernt. Inzwischen hat der Vatikan verdeutlicht, dass die Piusbruderschaft nur dann von der Kirche anerkannt werde, wenn sie sich zum 2. Vatikanischen Konzil bekennt. „Der Prozess der Heilung der tiefen Wunden“, erklärte Elan Steinberg, damaliger Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses, „kann nun beginnen“.

 

Joseph Ratzinger Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Band II, Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Herder-Verlag 2011, 368 Seiten, ISBN 978-3- 451-32999-9, Preis (D): 22,- Euro, Schweiz: 33,50 Franken