„WIEN BIETET EXELLENTE BEDINGUNGEN“

INTERVIEW MIT DR. ARIEL MUZICANT, DEM PRÄSIDENTEN DER IKG WIEN UND ÖSTERREICH

 

ÖSTERREICH RÜSTET SICH FÜR DAS NÄCHSTE JAHRZEHNT. EIN GROSSES HAKOAH-SPORTZENTRUM FÜR DIE JÜDISCHE JUGEND WURDE

GEBAUT, EIN CAMPUS MIT EINER INTEGRIERTEN MODERNEN SCHULE UND AUCH EIN NEUES ALTERSHEIM FERTIG GESTELLT. WIR SPRACHEN MIT DR. ARIEL MUZICANT, PRÄSIDENT DER ISRAELITISCHEN KULTUSGEMEINDE WIEN UND ÖSTERREICHS ÜBER DAS JÜDISCHE LEBEN UND SEINE PLÄNE, DIE GEMEINDE DURCH ZUGÄNGE AUS DEM AUSLAND ZU VERGRÖSSERN.

 

Jüdisches Europa:

 

Dr. Ariel Muzicant:

Gibt es derzeit Verhandlungen über die Zuwanderung mit der österreichischen Regierung?

Nein. Die Zuwanderung ist seit 1992 untersagt. Wir wollen zuerst die Infrastruktur fertig stellen, dann kann man über eine geregelte Zuwanderung nachdenken. Ab 2011 wird die Zuwanderung durch das EU-Recht liberalisiert, d.h. Zuwanderer aus den EU-Staaten können dann kommen, wir würden uns dann beispielsweise um die Zuwanderung von in Ungarn lebenden Juden kümmern.
Wir wollen keine Zuwanderung nach dem Beispiel von Deutschland, wir wollen, dass die Menschen, die zu uns kommen einen Arbeitsplatz bereits vorweisen können, bevor sie zu uns kommen und nicht eine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme passiert. Wir haben gerade aus Deutschland immer wieder Anfragen von Menschen, die koscher leben wollen.

   

Jüdisches Europa:

Dr. Ariel Muzicant:

Gerade Wien bietet hierzu ja exzellente Bedingungen.

Wien hat in den letzten 10 Jahren einen unglaublichen Aufbruch erlebt. Heute ist Wien sicher eine der aktivsten Gemeinden in Europa. Jedes Jahr finden über 300 Veranstaltungen statt. Wir haben hier 15 Rabbiner, Schulen, der Campus ist jüngst fertig gebaut worden mit einer Schule in der momentan 600 Kinder angemeldet sind, es gibt noch Platz für insgesamt 1.000 Personen. Sie lernen und wohnen dort.

   

Jüdisches Europa:

Dr. Ariel Muzicant:

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Chabad heute?

Sie ist korrekt. Es war nie eine Liebesgemeinschaft. Wir haben oft eine Konkurrenzsituation, arbeiten mit ihnen aber zusammen. Chabad hat Wien immer als Stützpunkt für Osteuropa angesehen und seine Aktivitäten verstärkt, bis hin zu dem Versuch die Gemeinde zu übernehmen. Das ist ihnen nicht gelungen. Jetzt gibt es einen Wiener Kompromiss. Wir haben hier nun alles doppelt und dreifach, das heißt, es besteht jetzt die Möglichkeit in zwei bis drei Bäckereien koscheres Brot zu kaufen oder wir haben eine ganze Reihe von koscheren Restaurants. Als Präsident habe ich nie versucht das zu bekämpfen.

   

Jüdisches Europa:

 

Dr. Ariel Muzicant:

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der sefardischen Gemeinde aus? Auch hier kam es in der Vergangenheit ja zu Verstimmungen.
In Österreich gibt es ein organisches Zusammenwachsen. Das geht nicht ohne Schwierigkeiten. Aber es passiert, selbst meine Schwiegertochter ist Bucharin. Die junge Generation der Sefarden ergreift überwiegend akademische Berufe, sind Ärzte, Anwälte usw. Da ist heute vieles zusammen gewachsen. Konflikte gibt es eher innerhalb der einzelnen Gemeinschaften. Die Sefarden werden ein Jugendzentrum in der Jeninstraße bekommen. Für die verschiedenen Organisationen gibt es diverse Zentren, z.B. Haschomer Hazair, Misrachi, Moadon etc.

   

Jüdisches Europa:

 

Dr. Ariel Muzicant:

Vor kurzem war Ronald S. Lauder in Wien, wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem World Jewish Congress?

Ich bin mit vielen führenden Köpfen des WJC seit Jahren befreundet, insofern funktioniert die informelle Ebene auf einer sehr freundschaftlichen Basis. Mit dem EJC (European Jewish Congress) und dem Vorsitzenden Mosche Kantor habe ich mich entschieden die Arbeit korrekt auszuführen, aber nicht darüber hinaus.

   

Jüdisches Europa:

Dr. Ariel Muzicant:

Werden Sie zu den nächsten Wahlen des EJC fahren?

Ja, aber für ein Amt werde ich nicht kandidieren.

   

Jüdisches Europa:

Dr. Ariel Muzicant:

Auch nicht in der Antisemitismuskommission?

Ich halte den Kampf gegen den Antisemitismus seitens des EJC‘s für überhöht. Die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung mit dem Iran ist meiner Meinung nach größer als die Wahrscheinlichkeit, dass derzeit Pogrome in Europa drohen. Sorgen mache ich mir auch um die jüdische Bevölkerung in Venezuela.

   

Jüdisches Europa:

Dr. Ariel Muzicant:

Wie bekämpfen Sie den Antisemitismus in Österreich?

Ich halte nichts davon den Kampf gegen den Antisemitismus im eigenen Land anderen Organisationen in Europa zu überlassen. Wir führen hier bereits einen Kampf auf verlorenem Posten. Natürlich bin ich auch nach Auschwitz und andere Orte gefahren, aber wichtiger halte ich es, dass die Rosenkränze hier in Österreich niedergelegt werden. Darüber hinaus bekämpfe ich den Antisemitismus über die öffentliche Meinung. Ich bin in Österreich so bekannt, dass ich zwei bis drei mal in der Woche im Fernsehen auftrete. Auf der anderen Seite sehen wir in Österreich, wie in anderen euröpäischen Ländern auch, eine Verstärkung der Positionen. Wir haben hier ca. 500.000 Moslems, davon 400.000 Türken. Der Rest sind Bosnier und Araber. Seit dem Gazakonflikt beobachten wir eine wachsende antiisraelische Haltung.

   

Jüdisches Europa:

 

Dr. Ariel Muzicant:

2009 hatten wir ein Titelbild, dass Sie beim Plakatieren gegen Raubkunst am Wiener Leopoldmuseum zeigt. Hat sich speziell hier etwas getan?

Es gibt jetzt eine Komission, die die Provenienzforschung voran treiben soll und bis zum Sommer Ergebnisse präsentiert. Die Restitution ist darüber hinaus weitest gehend abgeschlossen. Der letzte Akt ist der Abschluss des Entschädigungsfonds und die Hilfe für die Erhaltung der Friedhöfe. Ziel ist es 40 Millionen für die Pflege und Sanierung zusammen zu bekommen. Die Republik Österreich ist bereit 20 Millionen zur Verfügung zu stellen, die restlichen 20 Millionen kommen überwiegend aus privaten Quellen.
Ein weiteres, neues Projekt ist die Aufarbeitung eines neuen Verfassungsgesetzes, das Alte ist bereits 120 Jahre alt. Das Gesetz soll an die neue Zeit angepasst, zum Beispiel sollen die großen Feiertage offiziell anerkannt werden.

 

A. Beygang