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„Geschichte korrekt schreiben“

Deutsche Bischofskonferenz und Zentralrat der Juden diskutierten über Papst Pius XII. und die Shoah

Deutsche Bischofskonferenz, Zentralrat der Juden, Öffnung Archive, Papst, Pius XII
Foto: A. Beygang

Am 2. März 2020 öffnete der Vatikan seine Archive aus der Zeit von Papst Pius XII. Dieser steht in der Kritik, im Zweiten Weltkrieg nicht klar genug gegen die NS-Verbrechen protestiert zu haben. Eine Podiumsdiskussion der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralrats der Juden ging unter dem Leitwort „Neues über Pius XII. und die Shoah?“ im Haus am Dom in Frankfurt am Main der Frage nach, was von der Öffnung der Archive zu erwarten ist.

 

Bis heute sind noch viele Fragen zum Wirken von Papst Pius XII. offen und werfen einen dunklen Schatten auf das jüdisch-christliche Verhältnis, betonte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. „Wie erklärt sich das große Schweigen der katholischen Kirche zum Massenmord an den Juden während der Shoah? Welche Rolle spielte der Papst bei der Rettung der römischen Juden? Und inwieweit unterstützte das kirchliche Oberhaupt NS-Täter nach dem Krieg bei ihrer Flucht über die sogenannten Rattenlinien?“, fragte Schuster. Durch die Öffnung der vatikanischen Archive erhoffe er sich mehr Klarheit: „Die katholische Kirche sollte neue Erkenntnisse zum Anlass nehmen, sich deutlich zu ihrer Verantwortung zu bekennen“, so seine Forderung.

 

Bischof Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt), Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, hob hervor, dass er froh sei, wenn die Archive Pius XII. geöffnet würden, um mehr über sein Pontifikat zu erfahren. „Pius XII. war fast 20 Jahre lang (1939–1958) Papst. In dieser Zeit ist sehr viel Archivmaterial angefallen, nicht nur im Apostolischen Palast. Auch die Korrespondenzen mit den Nuntiaturen und die Akten der Kongregationen können wichtiges Material enthalten zur Frage des Umgangs des Heiligen Stuhls mit dem NS-Regime, besonders bezüglich der Verfolgung und unvorstellbaren Ermordung der Juden, aber auch zur Frage, ob und wie 1945 Vertretern des NS-Regimes zur Flucht verholfen wurde und wie der Vatikan sein Verhältnis zum Staat Israel gestaltete“, so Bischof Neymeyr. Er hoffe, dass nach der Sichtung des Archivmaterials genügend Zeit und finanzielle Mittel zur Aufarbeitung zur Verfügung stünden, „um die Geschichte korrekt schreiben zu können. Ein Grundsatz der Geschichtsforschung heißt: Man muss die Menschen immer aus ihrer Zeit heraus verstehen und darf sie nicht im Nachhinein beurteilen, wenn man weiß, wie die Dinge sich entwickelt haben“, so Bischof Neymeyr.

 

Wesentlich an der Aufarbeitung der Archivbestände in Rom beteiligt ist Prof. Dr. Hubert Wolf, Kirchenhistoriker an der Universität Münster. „Überblickt man die bisherigen Forschungen, wird deutlich, dass die Konzentration auf das Verhalten des Papstes während der Shoah dazu geführt hat, dass weitere brisante Fragen nicht ausreichend bearbeitet wurden. Zu nennen sind etwa die sogenannte ‚Rattenlinie‘, die Situation in Palästina und die Gründung des Staates Israel, womit die Frage nach grundsätzlichen theologischen Reflexionen zum Verhältnis von Christentum und Judentum eng zusammenhängt“, so Prof. Wolf. „Ich warne jedoch vor vorschnellen Urteilen und sensationellen Meldungen. Allen Skeptikern, die von der Öffnung der Archive Pius’ XII. nichts Neues erwarten, rufe ich in Erinnerung, wieviel Neues die Apertura der Bestände Pius’ XI. allen Unkenrufen zum Trotz gebracht hat.“

 

Prof. Dr. Johannes Heil, Universitätsprofessor an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, hob die widersprüchlichen Urteile über Pius XII. hervor und stellte dessen Verhalten in die Tradition päpstlicher Judenpolitik. „Die Öffnung der vatikanischen Archive ist ein großer Fortschritt. Die Erträge werden keine Diskussion beenden, aber auf eine fundiertere Basis stellen.“

 

Deutlich wurde bei der Veranstaltung, dass mit der Öffnung der Archive ein weiterer Meilenstein in der historischen Forschung in Rom möglich gemacht wird. Die Deutsche Bischofskonferenz wolle, so Bischof Neymeyr, die Arbeit der Historiker und deren Ergebnisse aufmerksam auswerten.

 

Übereinstimmend betonten Dr. Schuster und Bischof Neymeyr, dass die heutige Podiumsdiskussion auch ein Zeichen für die veränderten Beziehungen zwischen Kirche und Judentum sei. Es sei zu hoffen, dass die katholisch-jüdische Zusammenarbeit sich auch in der historischen Erforschung der vatikanischen Archive fortsetzen.

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