ERSTMALS NACH DER SCHOA WIEDER IN DEUTSCHLAND

EUROPÄISCHE RABBINERKONFERENZ TAGTE IN BERLIN

Zum ersten Mal nach der Schoa kamen Rabbiner aus ganz Europa zur Vollversammlung der „Conference of European Rabbis“, der Europäischen Rabbinerkonferenz, nach Berlin. Diese Tagung war zugleich auch ein Vertrauensbeweis in eine jüdische Zukunft in Deutschland. Diskutiert wurden viele aktuelle Themen.

  • Über 200 Rabbiner aus 26 Ländern Europas kamen zur 28. Vollversammlung der CER.

  • Die Kongressteilnehmer während der Vorträge.

  • Israels sephardischer Oberrabbiner Yitzhak Yosef.

  • Ehrengast Rabbiner David Lau im Gespräch mit Kongressteilnehmern.

Nicht Antisemitismus, sondern Assimilation gefährdet gegenwärtig das Weiterbestehen des Judentums in Europa. „Ihr macht eine heilige Arbeit hier in Deutschland“, lobt der neue sephardische Oberrabbiner Israels Yitzhak Yosef die Mitglieder der ORD, der „Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands“. auf dem Festakt anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Organisation. Er, wie auch der aschkenasische Oberrabbiner Israels, David Lau, kamen anlässlich der 28. Vollversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz, die zum ersten Mal seit dem Krieg in Berlin stattfand. Dass auch die ORD ihr 10-jähriges Bestehen feierte, wurde ebenso mit ins Programm der CER (Conference of European Rabbis) eingearbeitet, wie der 75. Jahrestag der Reichspogromnacht. An dem daran erinnernden Festakt, in einer von den Nationalsozialisten zerstörten und nun wieder aufgebauten Synagoge, nahmen auch die Kongressteilnehmer teil, die aus 31 Ländern kamen. Und so wurde es gleichzeitig auch ein Vertrauensbeweis in eine neue jüdische Zukunft in Deutschland. Doch mahnte Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Oberrabbiner Moskaus und Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, nicht zu vergessen, dass „der physischen Zerstörung die spirituelle vorausgeht“. In der Pogromnacht ging auch eine jahrtausendealte Geschichte der Tora-Tradition und Gelehrsamkeit in Flammen auf. „Während die säkulare Welt das deutsche Judentum mit Namen der vergangenen zweihundert Jahren assoziiert, mit Namen wie Mendelssohn, Jacoby, Heine, Baeck und Einstein, erinnert sich die religiöse Welt an eine deutsch-jüdische Tradition mit tausendjähriger Geschichte: Raschi, Rabbeinu Ascher aus Köln, Rabbi Meir von Rothenburg, Rabbi Jonathan Eybeschütz aus Hamburg, Samson Raphael Hirsch aus Frankfurt, die Größen des Berliner Hildesheimer Rabbinerseminars: Hoffmann, Kaplan, Weinberg. „Das Erbe dieser Giganten lebt weiter. Auf der ganzen Welt werden ihre Werke studiert“, so Rabbiner Goldschmidt. „Für Deutschland ist dieses Erbe jedoch weitgehend verloren“.

 

Straßburger Europarat fordert Verbot der Zirkumzision

Nicht jedoch die Vergangenheit stand im Mittelpunkt der diesjährigen Europäischen Rabbinerkonferenz, sondern die Zukunft jüdischen Lebens in Europa. Drei Tage lang befassten sich die rund 200 Delegierten aus 26 Ländern Europas gemeinsam mit ihren Gästen aus Aserbaidschan, Chile, Kanada, Israel und den USA mit Fragen der zunehmenden Beschränkung an religiöser Freiheit. Anfang Oktober hatte der Europarat in Straßburg erneut ein Verbot der Brith Mila gefordert. Von den 318 Mitgliedern des Parlaments nahm zwar nur ein Drittel an der Abstimmung teil. Doch gefordert wurde eine staatliche Aufsicht für die Beschneidung von Jungen in allen 47 Ländern, die im Europarat vertreten sind. Nun haben zwar die Resolutionen des Europarates keine legislativen Auswirkungen, sondern sind nur politische Absichtserklärungen. Diese können Gegner und Antisemiten jedoch nutzen, um ihren Zielen eine größere politische Gewichtung zu verleihen und ihnen den Anschein eines international gewollten Abkommens geben. Der Generalsekretär des Europarates Thorbjørn Jagland, der auf Einladung der Europäischen Rabbinerkonferenz nach Berlin gekommen war, versuchte die Auswirkung der Resolution zu glätten: „Der Europarat möchte keineswegs die Praxis der männlichen Beschneidung verbieten – das ist meine Position. Das ist die Position des Europarates“. Doch so einfach ist das nicht mehr. Politiker in Dänemark, Finnland und Island berufen sich bereits auf die Resolution des Europarates und verlangen die Beschneidung zu verbieten oder wenigstens unter staatliche Kontrolle zu stellen. In Norwegen ist Gesundheitsminister Bent Høie nun bereits dabei, bis April 2014 einen Gesetzentwurf zur Vorlage für das Parlament zu erarbeiten, das die Brith Mila nur unter staatlicher Aufsicht und in Anwesenheit dafür ausgewählter Ärzte zulässt. Darauf ging Politiker Jagland, der aus Norwegen stammt und von dort in den Europäischen Rat delegiert wurde, mit keinem Wort ein. Trotzdem freute sich der Präsident der Rabbinerkonferenz Goldschmidt über die Rede des Generalsekretärs, die er für „äußerst wichtig“ hält und von der er hofft, „dass der Schaden, den die Straßburger Resolution angerichtet hat, minimiert wird, nachdem Herr Jagland und mehrere europäische Regierungen sich davon distanziert haben“. Für Deutschland zum Beispiel hatte die Resolution von Anfang an keine Bedeutung. Um der jüdischen Welt weitere Hilfestellung zu leisten, lud der Generalsekretär des Europarates Jagland im Anschluss an seine Rede die 200 anwesenden Rabbiner ein, im nächsten Jahr ihre Konferenz am Sitz des Europaparlaments in Straßburg abzuhalten. Die CER, verkündete Vizepräsident Rabbiner Yaakov Bleich, nahm das Angebot an.

 

Einheitliche Qualitätsstandards für Europas Mohalim beschlossen

Die Aggression gegen Zirkumzision und Schächtung richtet sich meist in erster Linie gegen Muslime. „Wir Juden bekommen nur den Kollateralschaden ab“, meint der in Italien amtierende Rabbiner Di Segni. Auch deshalb, um weniger Angriffsfläche zu bieten, wurde kürzlich in Wien die „Union of Mohalim in Europe“ gegründet. In Berlin wurden nun einheitliche Standards beschlossen, die „für unsere Mitglieder überall in Europa bindend sind“, sagt Vorsitzender Rabbiner Schlomo Hofmeister aus Wien. Jeder Mohel muss eine klassische medizinische Ausbildung absolvieren und ein staatlich anerkanntes Zertifikat vorweisen können, das auch Kenntnisse in den Bereichen Hygiene und Wundbehandlung mit einschließt. Eine weitere Voraussetzung ist ein religiöses Leben nach der Halacha. Auch muss er seinen Wohnsitz in Europa haben. Mohalim aus Israel oder den USA werden nicht in die „‚Union of Mohalim of Europe“ aufgenommen. „Zur Brith Mila gehört auch die Wundbehandlung danach“, erklärt Rabbiner Hofmeister. Allzu oft kam es vor, dass bei Stunden später auftretenden Blutungen der Mohel schon im Flugzeug saß oder bereits in seinem außereuropäischen Wohnsitz angekommen war. Dann eilten die besorgten Eltern mit ihrem Sohn ins nächste Krankenhaus, wo nichtjüdische Ärzte das Kind weiter behandelten. Auch gegen Beschneidungen durch nichtjüdische Ärzte wendet sich die neue Mohalim-Vereinigung. Diese haben keine Ausbildung zum Mohel und entfernen allzu oft zwar die äußere, aber nicht die innere Vorhaut. „Der Junge gilt im Judentum weiterhin als unbeschnitten, das wollen wir verhindern“ betont Vorsitzender Rabbiner Hofmeister, dessen Organisation auch reisende Mohalim innerhalb Europas vermittelt. Gespräche mit den Eltern vor und nach der Brith Mila gehören ebenfalls zum Programm. Noch gibt es viel zu wenige Beschneider in den verschiedenen Ländern, die den hohen Qualitätsstandards gerecht werden und als Mitglieder der „Union of European Mohalim“ empfohlen werden. In Deutschland ist es nur Rabbiner Unger aus Bad Nauheim. Geplant, so Rabbiner Hofmeister, ist eine Ausbildung für weitere vier junge jüdische Ärzte aus Berlin und Hannover, die auch ein Praktikum in Israel mit einschließt. Die Kosten dafür sind hoch. In Berlin erklärte nun Dr. Josef Schuster, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, der im Berufsleben als Arzt tätig ist, dass der Zentralrat sich an der Finanzierung der Mohel-Ausbildung beteiligen wird.

 

Schächtverbote steigen in Europa

Ein weiterer Angriff auf die religiöse Freiheit sind Attacken gegen das Schächten. Im Sommer hatte der polnische Sejm das Schlachten von Tieren nach jüdischen und muslimischen Riten verboten, so dass nun die Schechita neben Norwegen, Island und Liechtenstein auch in Polen nicht mehr erlaubt ist. Die jüdische Welt reagierte bestürzt und protestierte. Doch leider gab es dabei unterschiedliche Auffassungen über die Vorgehensweise. Polens Oberrabbiner Michael Schudrich wurde vorgeworfen, Hilfsangebote jüdischer Organisationen aus dem Ausland torpediert und im Alleingang versucht zu haben mit polnischen Parlamentariern vor der Abstimmung in Kontakt zu kommen, in der Hoffnung, sie durch Kenntnis des Tierschutzes aus jüdischer Sicht zu überzeugen, das drohende Schächtverbot noch in letzter Minute zu kippen. Das ging schief. In Berlin hielt Rabbiner Schudrich nun eine Rede vor den versammelten Rabbinern Europas und dankte der Rabbinerkonferenz, die ihm stets zur Seite stand, ganz im Gegenteil der Chabad-Lubawitsch nahe stehende „European Jewish Association“, die in Brüssel ihren Sitz hat. Deren Gespräche mit dem polnischen Präsidenten Komorowski hatte Rabbiner Schudrich verhindert, was zu innerjüdischen Streitigkeiten führte, die in aller Öffentlichkeit ausgefochten wurden. Rabbiner Pinchas Goldschmidt fühlte sich angegriffen und betonte, dass die „Conference of European Rabbis“ die größte Vertretung der Rabbiner Europas sei, deren Mitglieder Rabbiner fast aller bedeutenden jüdischen Gemeinden Europas sind. Gebunden durch diese Streitigkeiten war die Rabbinerkonferenz nicht mehr in der Lage Einfluss auf die Situation in Polen zu nehmen, das gelang auch dem Jüdischen Weltkongress und dem Europäisch-Jüdischen Kongress nicht. Rabbiner Schudrich wollte sogar seine Position als Polens Oberrabbiner niederlegen. Doch nun unterstrich er in seiner Rede auf der Vollversammlung in Berlin seine Zugehörigkeit zur Europäischen Rabbinerkonferenz, die trotz dieser Niederlage weiterhin Hilfestellung für ein stabiles jüdisches Leben in Polen geben will. Neuerlichen Aufwind wittern nun Frankreichs Antisemiten, allen voran die rechtsextreme Front National mit ihren Mitgliedern Senatorin Sylvia Goy-Chavent und dem einstigen Filmstar und heutigen Tierschützerin Brigitte Bardot. Sie verweisen nach Polen und wollen nun in Frankreich das Schächten verbieten. „Ein neuer militanter Säkularismus“, warnt Rabbiner Goldschmidt, bedeutet auch „eine Gefahr für ein künftiges vereintes Europa.“

 

Frauen haben ein Recht auf den Get

Ein weiteres Thema der Konferenz war die jüdische Familie und ihre Position in der heutigen, modernen Welt. „Die Medien, speziell die Internetmedien haben großen Einfluss. Darauf müssen wir die Rabbiner vorbereiten und überlegen, wie sie unter diesen veränderten Bedingungen am besten lehren können“, erläutert Goldschmidt. Er plädiert dafür, dass die Rabbiner nicht nur in den Synagogen amtieren, sondern auch zu einzelnen Gemeindemitgliedern gehen, sich für die Jugend engagieren und sich auch auf Facebook zu Wort melden. Große Bedeutung gibt er der Familie als Kern des jüdischen Lebens. Wenn es jedoch zur Scheidung kommt, verlangt er klare Verhältnisse. Jede Frau hat das Recht auf ihren Get. Doch ist es oftmals schwierig, diesen auszustellen, wenn der ehemalige Ehemann dies verweigert und nicht mehr im gleichen Land wie seine von ihm nur halb geschiedene Frau lebt. Die Europäische Rabbinerkonferenz erarbeitet gegenwärtig auch für solche komplizierten Fälle einheitliche Richtlinien und Anweisungen, gemeinsam mit den beiden Oberrabbiner Israels, David Lau und Yitzhak Josef, die ebenfalls in Berlin dabei waren.    A. Canem 

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