EINZIGARTIGE ESTHER-ROLLE ALS FAKSIMILE

WIEDERENTDECKUNG WAR EINE SENSATION

Teure Uhren, Schlossähnliche Villen oder eigene Flugzeuge gelten als Statussymbole. Auch reiche Juden kaufen sich heute Fußballmannschaften und große Jachten. In früheren Zeiten dagegen waren prachtvolle, reich verzierte Megilloth im Privatbesitz, die oft von vermögenden Juden in Auftrag gegeben wurden, Ausdruck ihrer gehobenen gesellschaftlichen Stellung. Meist waren diese Juden bei einem König oder regierenden Fürsten als „Hoffaktoren“ tätig.

  • Gedruckt im Taschen-Verlag: Faksimile der Hannover-Megilla.

  • Begleitbuch von Historiker Prof. Dr. Falk Wiesemann.

Besonders beliebt war die Megilla Esther. Da in diesem Buch nirgends G'tt erwähnt wird, ging und geht man bis heute sorgloser mit der figürlichen Darstellung von Menschen um. Bereits im 3. Jahrhundert wurde in Dura Europos, in Syrien, trotz des allgemeinen Bilderverbots, ein Freskenzyklus gemalt, das auch Auszüge aus der Esthergeschichte zeigt. Esther, Mordechai, Achashwerosh, Haman etc. sind nach der damaligen Mode gekleidet.

 

In den darauffolgenden Jahrhunderten setzte man dann rabbinische Vorschriften und Anweisungen sensibler um. Erst ab dem 17. Jahrhundert wurden in Europa verstärkt hochwertige Estherrollen mit künstlerischen Illustrationen hergestellt. Diese waren weniger für den synagogalen G'ttesdienst, sondern mehr für den häuslichen Gebrauch und als Prestigeobjekt gedacht. Eine solch prachtvoll gestaltete aus dem Jahr 1746 befindet sich heute im Tresor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover. Wie sie dahin kam ist unbekannt. Doch bereits 1756 berichtete ein Hofapotheker der russischen Zarin Katharina II. von einer Estherrolle, die sich im Besitz des Königs von Hannover befand und in dessen Bibliothek aufbewahrt wird. Er soll sie von einem Juden gekauft haben – zwar wahrscheinlich, allerdings bis heute nicht nachgewiesen. Erst nahezu hundert Jahre später findet sich wieder eine Spur über den Verbleib der Rolle. 1819 kam das Königreich Hannover zu Preußen und damit auch die Bibliothek. Ein Bestandskatalog wurde erarbeitet, in dem die Megilla erwähnt wird. Dann hörte man lange Zeit nichts mehr darüber, bis im Jahr 2009 die Kestnergesellschaft in Hannover eine Ausstellung „Von der Keilschrift bis YouTube“ präsentierte. Zwischen assyrischen Tontafeln, Rechenmaschinen, frühen Luther-Bibeln und mittelalterlichen, in Klöstern angefertigten Handschriften, befand sich auch die „Hannover-Megilla“, die eigens für diese Präsentation fachmännisch restauriert worden war. Ihre Wiederentdeckung war eine Sensation. 6,5 Meter ist diese Estherrolle lang und neben dem Text mit zahlreichen kolorierten Illustrationen verziert. Ohne Zweifel ist sie ein Meisterwerk und gehört zu den schönsten aller Prachtrollen.

 

Wiederentdeckt und als Faksimile nachgedruckt

Der Taschen-Verlag nahm nun das kostbare Unikat als Vorlage für ein originalgetreues Faksimile, das ebenfalls 6,5 Meter lang ist. In kleiner Auflage von nur 1.746 Exemplaren wurde die Esthergeschichte nachgedruckt, die auf einem lederbezogenen hohlen Zylinder gerollt ist. Eingepackt ist sie in eine handgearbeitete Holzschatulle mit Walnussfurnier. Diese kann man aufklappen und das kostbare Stück entweder darin aufgerollt in kleinen Abschnitten lesen oder auch zum größeren Ausrollen herausnehmen. Es ist ein Kunstwerk von einem Sofer, der auch andere Estherrollen anfertigte. In all diesen ist der Text, wie im Judentum üblich, in Hebräisch gedruckt. Nicht jedoch in der Hannover-Megilla. Es ist die einzige bekannte Estherrolle aus dieser Zeit mit einem deutschen Text, was Anlass zum Rätseln gibt.

 

Haskala und eine Megilla in deutscher Sprache

Es war die Zeit vor der Haskala. Wenige Jahre später übersetzte Moses Mendelssohn Psalmen und die Tora ins Hochdeutsche und fordert den G'ttesdienst in der Synagoge in Deutsch zu führen statt in Hebräisch. Seine Ideale von der Gleichheit aller Menschen führten damals zwar nicht zur erhofften Emanzipation, hinterließen dennoch ihre Spuren bis ins heutige liberale Judentum, dessen Basis die Haskala ist. Möglich ist, dass schon im Vorfeld der Aufklärungsbewegung, die um 1700 begann und in der nicht nur die Erneuerung des Judentums gefordert wurde, sondern auch eine Öffnung und Annäherung an nichtjüdische Kreise, vereinzelte Werke entstanden. So könnte diese Megilla ein ganz seltenes Frühwerk der Haskala sein. Auch bei „aufgeklärten Monarchen“, denen der Reformgedanke zeitweilig gefiel, fanden solche Werke gefallen und wurden gefördert. In Dessau ließ Fürst Leopold III. in seinem Wörlitzer Park eine runde Synagoge errichten und möglicherweise fanden die Ideen der Haskala auch beim Kurfürsten von Hannover, der ebenfalls König von Großbritannien war, Interesse. Auf ihn geht die Gründung der British Library und der Bibliothek in Hannover zurück. Das würde erklären, weshalb diese Megilla so schnell nach ihrem Entstehen in den Besitz der welfischen Bibliothek kam.

  • Königin Waschti mit ihren Hofdamen.

  • Auf dem Pferd reitet der vom König geehrte Mordechai, Haman muss ihn begleiten.

  • Abbildung einer Schächtung – Kartuschen aus der Hannover-Megilla.

Eine andere Auffassung vertritt Historiker Prof. Dr. Falk Wiesemann aus Düsseldorf. Seiner Meinung nach hätten Wiener Juden die Megilla in Auftrag gegeben, um sie Maria Theresia zu überreichen. Diese hatte kurz vorher alle Juden aus Prag und Schlesien verbannt. Da sich die Wiener Kehilla nun auch bedroht fühlte, versuchten sie mit der Estherrolle die Kaiserin milde zu stimmen, meint Wiesemann. Doch dass ein solches Geschenk ausgerechnet in Hildesheim angefertigt wird, ist unwahrscheinlich angesichts der politischen Differenzen und dem Machtpoker zwischen Georg  II. von England, zu dessen Reich auch Hildesheim gehörte, und Kaiserin Maria Theresia von Österreich. Auch die Schnelligkeit, mit der die gerade fertig gestellte Megilla in den Besitz der Bibliothek in Hannover gelangte, spricht dagegen.

 

Ein Meisterwerk der jüdischen Buchkunst und keine Arbeit einer christlichen Stiftsdame

Trotzdem hat Prof. Dr. Wiesemann großen Verdienst bei der Erforschung dieser Estherrolle. Über 200 Jahre wusste niemand, wer diese angefertigt hatte. Eine Stiftsdame aus Gandersheim soll sie geschrieben und illustriert haben, hieß es lange Zeit. Doch Historiker Wiesemann gelang es, durch akribische Detektivarbeit und zahlreichen Stilvergleichen in Archiven, Bibliotheken und privaten Sammlungen, den Schriftgelehrten und Künstler Wolf Leib Katz Poppers aus Hildesheim als Schöpfer dieser Rolle zu identifizieren. Das herausragende Dokument ist ein Meisterwerk der jüdischen Buchkunst.

 

In einem dem Faksimile beigelegten Kommentarband erläutert Wiesemann, der sich seit vielen Jahren mit jüdischer Kultur befasst, nicht nur die Bedeutung der Esthergeschichte für das Judentum sowie ihre Adaption im Christentum, sondern erklärt auch jede einzelne Abbildung auf der Kartusche und am Rand sowie in der Mitte der Rolle. Dadurch wird die vorliegende Scroll leicht verständlich. In Deutsch, Französisch und Englisch ist das in Leinen gebundene und mit Goldschnitt verzierte Begleitbuch verfasst. In Hebräisch ist der Originaltext der Megilla zusätzlich gedruckt, sowie die deutsche Übersetzung, die jedoch leider sich an der christlichen Bibel orientiert. Dabei haben auch Juden, wie zum Beispiel Leopold Zunz, ebenfalls den Esthertext ins Deutsche übertragen. Als Vorstandsmitglied des Duisburger Salomon-Ludwig-Steinheim-Institutes sollte Prof. Dr. Falk Wiesemann auch diese kennen. Der Taschen-Verlag scheute keine Kosten und schuf mit dem kompletten Schuber aus dem Faksimile und dem Begleitbuch eine wertvolle Ausgabe, die vor allem in liberalen jüdischen Familien von Generation zu Generation weiter vererbt werden könnte und in Museen und Sammlungen nicht fehlen sollte. Am Ende des Buches gibt Wiesemann zusätzlich einen Überblick über Purim-Gebräuche und weist auf den Beginn des jüdischen Theaters das sich im Laufe der Jahrhunderte aus den Purim-Spielen entwickelt hat.

 

Esther Rolle, Schuber mit Faksimile der Hannover-Rolle und Begleitband. Preis: 500,00 Euro (Deutschland, Österreich, Schweiz)

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