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Jüdisches Museum Wien, Dorotheergasse 11, Wien, www.jmw.at, Judentum, Wien

AUS DEM OSTGALIZISCHEN SCHTETL INS MODERNE WIEN

DUPONTS FILM „DAS ALTE GESETZ“ WIEDER IM KINO

Auf der diesjährigen Berlinale und dem Jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg 2018 gab es eine Überraschung. Gezeigt wurde „Das alte Gesetz“, ein Stummfilm aus dem Jahr 1923, der neu restauriert wurde. Gegenwärtig wird er in einigen Programmkinos und Filmfestivals gezeigt (zum Beispiel bei den Jüdischen Filmtagen 2018 in Frankfurt am Main) . Auch eine DVD wurde inzwischen hergestellt.

Avrom Morewski, Ernst Deutsch, Das alte Gesetz
V.r.n.l.: Rabbiner Mayer (Avrom Morewski), versucht seinen Sohn Baruch (Ernst Deutsch) von seinem Vorhaben Schauspieler zu werden, abzubringen.  Foto © absolut Medien GmbH

Zum Inhalt des Films: Baruch, der Sohn eines Rabbiners möchte Schauspieler werden, doch sein Vater ist strikt dagegen. Es kommt zum Konflikt. Der Sohn will seinen Traum nicht begraben, heimlich flieht er aus dem galizischen Schtetl und schließt sich einer wandernden Schauspielertruppe an. Die österreichische Erzherzogin befindet sich gerade mit ihrem Hofstaat in der galizischen Peripherie. Der Landluft bald überdrüssig, sucht sie nach Zerstreuung und engagiert die Laienschauspielertruppe für eine Abendvorstellung. Es kommt zu einer schicksalhaften Begegnung. Die Erzherzögin fühlt sich von Baruchs Schauspielkunst angezogen und verliebt sich in ihn. Mittels ihres Einflusses verschafft sie ihm ein Engagement am Wiener Burg­theater. Dort zeigt er sein Können und begeistert das groß­städtische Publikum. Baruch wird zu einem gefeierten Star, während sein alter Vater ihn aus der Familie und der jüdischen dörflichen Gemeinschaft verstößt. Doch Baruch gibt auch „das alte Gesetz“ nicht auf. Trotz seiner Emanzipation behauptet er selbstbewusst sein Judentum. Weder verfällt er den Reizen der schönen, aber nichtjüdischen Schauspielerinnen, noch dem Reichtum und der Macht seiner Gönnerin, der Erzherzogin. Schließlich heiratet er seine Jugendliebe Esther, mit der er in Wien bleibt und auch sein alter Vater söhnt sich letztendlich mit ihm aus.

 

Der Film ist ein Plädoyer für ein modernes Leben, in dem auch Juden gleichberechtigt sein können, ohne ihre Religion verleugnen zu müssen. Gedreht wurde der Film von dem jüdischen Regisseur André Ewald Dupont, der 1891 in Zeitz geboren wurde und seit 1911 in Berlin lebte. 1933 emigrierte er über England in die USA. An den Höhepunkt seiner Karriere in der Weimarer Republik, unter anderen drehte er mit Henny Porten 1921 eine Verfilmung der „Geierwally“ sowie den Stummfilmklassiker „Varieté“ mit Emil Jannings, konnte er jedoch nie wieder anknüpfen. Damals war Dupont ein gefeierter Regisseur, dessen Wirken ein wichtiger Beitrag für die hohe Qualität des deutsch-jüdischen Filmschaffens in der Weimarer Republik war.

 

Das Besondere des jetzt vorgestellten Films „Das alte Gesetz“ ist die Authentizität des Alltags in einem ostgalizischen Schtetls der 1920er Jahre, wo noch nach den strengen Auslegungen der Vorschriften der Tora gelebt wird. Schon bald ist alles Vergangenheit, auch dort bricht die Moderne ein. Der Film beginnt mit dem Auftritt des Schulklopfers, der die Gemeinde weckt und zum Gebet ruft. Es ist Purim. Hinter beweglichen Holzplatten sitzen die Frauen getrennt von den Männern in der Synagoge. Auf den Straßen tanzen fröhlich heitere Menschen, verkleidet, so wie zu Purim üblich. Manche Szenen stellen fast dokumentarisch das Leben im Schtetl mit seinen Bräuchen und Festen vor. Kann man diese Tradition in der modernen Welt bewahren? Baruch, gespielt von Ernst Deutsch, erlebt antisemitische Anfeindungen und Ausgrenzungen. Er schneidet seine Locken ab, nicht etwa um seine Karrierechancen zu erhöhen. Für ihn, wie für viele andere Juden in der Großstadt ist das Entfernen dieser Locken lediglich ein äußerliches Zeichen ihrer Emanzipation. Sie bleiben auch als moderne Juden bei ihrem Glauben. Mit Assimilation, wie manche Kritiker schreiben, hat der Inhalt dieses Films wenig zu tun. Ganz im Gegenteil wendet er sich gegen die damalige Auffassung, nur durch Übertritt zum christlichen Glauben sei eine Integration in die Mehrheitsgesellschaft möglich. Was ja bekanntlich auch schief ging. Prominente Beispiele dafür sind Ludwig Börne und Heinrich Heine. Der Film, in dem viele damals populäre Schauspieler auftraten, Henny Porten, Ruth Weyer, Hermann Vallentin, Grete Berger, Ernst Deutsch, Werner Krauss und andere, wurde am 29. Oktober 1923 uraufgeführt. Nur wenige Jahre später kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Der Film wurde verboten, die jüdischen Künstler zur Emigration gezwungen oder in den Vernichtungslagern ermordet.

 

 

Daniel Meiller
Zwei Jahre lang haben Daniel Meiller und sein Team an der Restaurierung des Films gearbeitet.       Foto A. Canem

 

Inhaltliche Veränderungen bei der Wiederentdeckung

Seit 1933 war der Film aus den Archiven verschwunden. Eine Kopie der deutschen Fassung existierte nicht mehr und auch die Originalnegative galten als verschollen. Aus Filmfragmenten, die Lothar Schwab bei Gosfilmofond in Moskau, im schwedischen Svenska Filminstitut in Stockholm, in der Cinémathèque Royale in Brüssel und der Pariser Cinémathèque Française vorfand, rekonstruierte er 1984 für die Deutsche Kinemathek eine Fassung des Films. „Diese ist falsch und verändert den ursprünglichen Inhalt des Films“, rief uns Prof. Cynthia Walk von der University of California, San Diego an, berichtet Daniel Meiller, Filmrestaurator und technischer Leiter der Abteilung Film der Deutschen Kinemathek in Berlin. Prof. Walk, deren Forschungsschwerpunkt „Deutsche Literatur und Film der Weimarer Republik“ ist, hatte in den 90er Jahren Zugang zur Zensurkarte erhalten. Deutsche Beamte mussten damals die Untertitel aller Stummfilme genehmigen. Als man nun diese Texte mit dem Ablauf des Films verglich, stellte sich heraus, dass einige Szenen an den falschen Stellen zusammengefügt worden waren, sodass es einen ganz anderen Inhalt ergab. Zum Beispiel war die Szene, in der sich Baruch die Schläfenlocken abschnitt, vor seinem großen Theaterauftritt gesetzt worden. Lange Zeit wurde sie als Zeichen für Baruchs Wegdriften von seiner Religion interpretiert, doch jetzt weiß man, dass die Szene erst nach seinem großen Bühnenerfolg montiert wurde und lediglich von dem Einfluss der Moderne in seinem Leben erzählt.

 

Mit einer Kopie unter dem Arm flüchtete Ernst Deutsch nach Prag

Zwei Jahre haben Daniel Meiller und sein Team an der neuen Fassung des Films gearbeitet. Die jetzige Fassung hat eine Spiel­dauer von 135 Minuten und kommt dem verschollenen Original sehr nahe. Neben den bereits bekannten Quellen wurde nun mit Hilfe der Gelder aus den USA auch eine bisher unbekannte italienische Kopie des Films zum Vergleich herangezogen werden. Mit einer Kopie unter dem Arm flüchtete Schauspieler Ernst Deutsch vor den Nationalsozialisten erst nach Prag und später in die USA. Auf eigene Kosten vertonte er den Film nachträglich. Mittels internationaler Recherchen wurden noch weitere Fassungen entdeckt, die wahrscheinlich für den Export bestimmt waren und sich deshalb in ausländischen Archiven befanden. „In mühseliger Kleinarbeit setzten wir alle uns zur Verfügung gestandenen Szenen und einzelnen Bilder zusammen und haben nun die vollständige Rekonstruktion der deutschen Premierenfassung“, berichtet Daniel Meiller und betont „ohne die finanzielle Hilfe der „Sunrise Foundation for the Education and the Arts“, zu der Prof. Walk den Kontakt für uns herstellte, hätten wir nicht durchgehalten.“ Auch die Deutsche Kinemathek, Arte und das ZDF trugen zur gelungenen Rekonstruktion bei. Sehr empfindlich ist das damals verwendete Filmmaterial aus Nitrocellulose, das nicht nur schnell brennt, sondern sich inzwischen auch zersetzt. Dieses musste von Schmutz gesäubert und Schrammen ausgebessert werden, bevor das empfindliche Material digitalisiert werden konnte. Erst dann begann die eigentliche Arbeit des dreiköpfigen Teams. Der restaurierte Film, den es auch auf DVD gibt und gegenwärtig in verschiedenen Programmkinos in Deutschland, Österreich und Frankreich gezeigt wird, ist sehenswert.

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Roman Polanski, Intrige, Kino

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