„Kohnversation“

Jüdische Cartoons der Gegenwart

  • Das Schöpferpaar: Ruth Lewinsky und Ehemann Charles.

Moishe steht am Bahnschalter: „Geben Sie mir ein Billett nach Unterlaken.“ Hinter der Trennscheibe antwortet eine Frauenstimme: „Sie meinen nach Interlaken?“ „Ah, Sie sprechen Yiddisch!“

 

Die Schöpfer dieser „Kohnversation“ sind ein Ehepaar, Charles und Ruth Lewinsky. Im Winter leben sie in Zürich, den Sommer jedoch verbringt Schriftsteller Charles in einem kleinen Dorf in Frankreich, wo auch seine letzten, inzwischen weltweit bekannten Romane „Gerron“, „Melnitz“, sowie zahlreiche Liedtexte, Musicals, Hör- und Fernsehspiele entstanden. Verfilmt wurde Lewinskys Theaterstück „Ein ganz gewöhnlicher Jude“, das nicht nur im deutschen Fernsehen lief, sondern kürzlich auch ins Französische übersetzt wurde.

 

Trotz der vielen Arbeit langweilt sich auch ein Erfolgsautor, wenn er abends in seinem französischen Domizil auf dem Land allein ist. Damit seine Frau Ruth mitreist, kam er auf die Idee eines gemeinsamen Projekts. „Ich setzte mich hin und schrieb, damit meine Frau Arbeit hat“. Zuerst entsteht die Idee für die Cartoons, der Text für die Sprechblasen und den Inhalt. Viele Zeichnungen basieren auf Wortspiele. „Was ist ein fußballspielender Jude – natürlich ein Ball-Kohn.“ Ehefrau Ruth Lewinsky, die eine Ausbildung als Grafikerin absolvierte, zeichnet die Ideen.

 

Über 156 Folgen sind es inzwischen, komisch, humorvoll, manchmal auch skuril. „Wie nennt man zwei Haifische, die einen Touristen gefressen haben? Gefillte Fisch.“

 

Erstmals veröffentlicht wurden ihre Zeichnungen in einer Anthologie jüdischer Texte, die Charles Lewinsky in der Nummer 43 der schweizerischen Broschüre „Der Rabe“ herausgab. Ihm machte diese Arbeit „viel Spaß“ betont er, „vor allem, da meine Frau die Illustration übernommen hatte“. Später illustrierte sie auch das Buch „Der koschere Knigge“ von Michael Wuliger, dem Literaturredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“, in der verschiedene Cartoons ebenfalls veröffentlicht wurden. Angefangen hatte sie für die schweizerisch-jüdische Zeitschrift „Tachles“. Die ersten Cartoons bezogen sich auf jüdische Festtage, später kamen dann auch aktuelle und allgemein gültige Themen hinzu.

 

Es sieht so leicht aus und ist doch schwere Arbeit“, erzählt Ruth Lewinsky, die im Gespräch im Gegensatz zu ihrem erzählfreudigen interviewerfahrenen Mann introvertiert, in sich zurückgezogen wirkt, eine Eigenschaft, die sie mit vielen anderen bildenden Künstlern teilt. Zierlich ist die 1944 in Zürich geborene Frau, die in Zürich an der Hochschule für Gestaltung zur Grafikerin ausgebildet, später auch die Schule für Bühnenbild und Kostüm in München besuchte und danach in Berlin, Kassel und Ingolstadt lebte. Auf einem Ball des ostjüdischen Frauenvereins in Zürich lernte sie ihren Mann kennen. Das war 1965. Sie heirateten, bekamen zwei Kinder, die heute ebenfalls im kulturellen Bereich tätig sind. Sohn Micha verfasst Drehbücher und arbeitet als Regisseur. Tochter Tamar Lewinsky lehrt in Basel als Dozentin Jiddisch und Geschichte und gab kürzlich eine Anthologie mit Texten jiddischer Autoren heraus, die zwischen 1945-1950 in Deutschland verfasst wurden. Auch Ruth Lewinsky schreibt Gedichte. Per Zufall hatte sie vor einigen Jahren Ursula Hohler kennen gelernt, eine in Solothurn aufgewachsene Germanistin, die heute ebenfalls in Zürich lebt. Eine langjährige Freundschaft entstand, beide Frauen schrieben sich regelmäßig Briefe und vor allem Gedichte. Eine Auswahl davon kann man nun in einem kleinen „Wendebuch“ lesen, das im Gockhausener „Wörterseh Verlag“ erschien.

 

Der Mückenspray wirkte Wunder. Keine einzige Mücke quälte ihn in dieser Nacht, anderntags lag seine Frau leblos neben ihm im Bett. (Ruth Lewinsky)

 

Mit dem Gedicht „Aus dem Tal der Füchsin“ von Ursula Hohler beginnt das Buch. Dreht man es jedoch um, beginnt es mit „Poetischen Seufzern“ von Ruth Lewinsky. In der Mitte des Buches treffen sich beide Poetinnen mit einem Brief den sie an die jeweils Andere schrieben. Gleichberechtigt stehen die Gedichte hintereinander, jede ist dabei die Erste, je nachdem von welcher Seite man das Buch öffnet. Ruth Lewinskys lyrische Verse sind so wie sie selbst, sensibel, poetisch, rücksichtsvoll und dennoch oftmals voller Sarkasmus, der jedoch mit viel Humor gepaart ist. Wie in ihren Cartoons zeigt sie sich auch in den Gedichten als eine scharfe Beobachterin, der es gelingt, mit wenigen Worten wie mit wenigen Strichen ohne überflüssiges Beiwerk rasch zur Pointe zu gelangen.

 

Aber es war doch nur ein Regenwurm nur? (Ruth Lewinsky)

 

Ursula Hohler / Ruth Lewinsky, „Poetische Seufzer – Aus dem Tal der Füchsin“, Wörterseh Verlag, Gockhausen, 112 Seiten, ISBN: 978-3-03763-019-8, Preis: 19,90 € (Deutschland) 19,90 CHF (Schweiz), Online: 16,90 CHF

 

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