STEIGT DER PREIS FÜR KOSCHERES FLEISCH?

RABBINERKONFERENZ KÄMPFT FÜR PREISSTABILITÄT

Wird koscheres Fleisch demnächst teurer? In Belgien wird seit vielen Jahren nach dem rituellen jüdischen Gesetz geschächtet. Dieses Fleisch wird auch in die umliegenden Länder bis in die Schweiz exportiert. Doch nicht alles Fleisch ist koscher wie beispielsweise die hinteren Stücke einer Kuh. Dieses Fleisch wird in den allgemeinen Einzelhandel geliefert und von Nichtjuden, darunter auch viele Muslime, gerne gekauft.

Aufmerksam folgten Mitglieder der Europäischen Rabbinerkonferenz und europäische Politiker den Vorträgen. Foto: A. Beygang
Aufmerksam folgten Mitglieder der Europäischen Rabbinerkonferenz und europäische Politiker den Vorträgen. Foto: A. Beygang

„Nun verlangt die EU plötzlich, dass wir diese Teile mit besonderen Etiketten kennzeichnen“. Rabbiner Albert Guigui ist empört. Er amtiert in der „Großen Synagoge“ in Brüssel, die den Anspruch erhebt, Europas Hauptsynagoge zu sein. Gleichzeitig ist Oberrabbiner Guigui auch Sprecher der „Orthodoxen Rabbinerkonferenz Europas“. Wenn das in normalen Läden zwar geschächtete, aber dennoch nichtkoschere Fleisch, extra als „jüdisches Fleisch gekennzeichnet werden muss“, befürchtet er , lädt dies gerade radikale Tierschützer und auch Antisemiten ein, zum Boykott aufzurufen. Die Auswirkungen wären in ganz Europa spürbar.

 

Für religiöse Juden unbrauchbares, weil unkoscheres Fleisch, bliebe in den Auslagen liegen. Aufgehetzte nichtjüdische Frauen und Männer würden es nicht mehr kaufen. „Die Anzahl der geschlachteten Tiere richtet sich nach Angebot und Nachfrage“, betont Rabbiner Guigui. Wenn nichtjüdische Verkaufstellen die hinteren nichtkoscheren Teile „in viel kleineren Mengen verkaufen, werden auch weniger Tiere geschlachtet“. Doch die Unkosten bleiben. Die Folge wäre eine Verteuerung des koscheren Fleisches, das nun nur noch in wesentlich kleineren Mengen angeboten werden kann“. Europas Rabbiner schlagen Alarm.

 

Empört sind die Rabbiner auch über einen weiteren Versuch, das europäische Judentum in seinen Lebensformen zu beschneiden. Es geht um das generelle Schächtverbot. In Österreich, Dänemark, Norwegen, Estland wurde es schon seit längerem durchgesetzt und auch in der Schweiz. Dort versuchte die Regierung sogar die Einfuhr von koscherem Fleisch zu verbieten. Proteste von der jüdischen Bevölkerung aus der Schweiz und weltweit führten letztendlich zu einem begrenztem Einfuhrkontingent für koscheres Rind-, Lamm- und Kalbfleisch.

 

Schächtverbot nun auch in der Niederlande 

Lediglich aus Frankreich, Belgien, Israel oder den Niederlanden kann Fleisch importiert werden. Nun jedoch verbietet die niederländische Regierung das Schächten. Tierschützer hatten dieses neue Gesetz verlangt. Sie glauben, dass Tiere beim unbetäubten Schächten große Schmerzen leiden. Während Muslime die Tiere nun vorher betäuben, lehnen rabbinische Autoritäten diese Vorgehensweise ab. Da der strenggläubige Jude auf keinen Fall Blut trinken oder essen darf, muss das Tier völlig ausbluten. Einstimmig weisen alle Rabbiner auf die lange Ausbildungszeit eines Schochets hin, der nur mit einem Schnitt Halsschlagader und Luftröhre durchtrennt, wodurch das Tier sofort ohnmächtig wird und stirbt. Es leidet nicht. „Tierquälerei“ brüllen wider besseres Wissen die Anhänger der Partei „Voor de Dieren“ und finden Sympathisanten in der rechtsliberalen „Volksparting voor Vrijheit en Democratie (VVD)“ und in der „Partij voor de Vrijheit (PVV) “ von Geert Wilders. Mit 116 zu 30 Stimmen nahm das niederländische Parlament in Den Haag den Antrag des Schächtverbots an.

 

Jüdische Organisationen in den Niederlanden sind enttäuscht und überlegen nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg dagegen zu klagen. In seltener Einigkeit mit den Juden protestiert auch die muslimische Gemeinschaft der Niederlande gegen das Gesetz und kündigt gerichtliche Schritte an.

 

Gesetz steht im Widerspruch zu Artikel 9 der europäischen Menschenrechtskonvention 

„Das gab es schon einmal“ erinnert Moshe Kantor, Präsident des Europäisch-Jüdischen Kongresses (EJC). Das Verbot zu schächten war eine der ersten Maßnahmen, die gleich zu Beginn der Okkupation von den NS-Besatzern erlassen war. Doch diesmal „können wir es nicht so einfach hinnehmen“, warnt Kantor. „Dieses Gesetz steht in direktem Widerspruch zum Artikel 9 der europäischen Konvention der Menschenrechte, der das Recht auf freie Ausübung der Religion garantiert“. Empört äußerte sich ebenfalls der neue Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Oberrabbiner, Pinchas Goldschmidt, „die Niederlande haben eine jahrhundertealte Tradition von Toleranz, Liberalismus und Menschenrechte über Bord geworfen“.

 

Die Forderung rechtspopulistischer Parteien nach einem Schächtverbot ist Ausdruck eines wachsenden Antisemitismus, betont Israels Oberrabbiner Yona Metzger vor Abgeordneten des Europaparlaments in Brüssel. Organisiert vom „Rabbinical Centre“ hatten sich hunderte von Rabbinern aus ganz Europa getroffen, um einer Einladung des EU-Parlaments zu folgen und hier an zentraler Stelle über die Zukunft des Judentums zu debattieren. Im Sitzungssaal des EU-Parlaments warnte Israels Oberrabbiner Metzger vor einem wachsenden Antisemitismus, der sich auch in den Forderungen rechtsgerichteter Parteien spiegelt. Ein neues, und doch den polnischen Rechtskatholiken stellten ihre konträren Ansichten vor.

 

Ausnahmeregelung ins Gesetz mit aufgenommen 

Wenn auch nicht alle die gleichen Meinungen hatten, so ist es dennoch wichtig, dass Rabbiner und europäische Politiker in den Dialog treten. Seine Organisation, erklärte kürzlich Rabbiner Goldschmidt, werde „nicht länger ruhen, bis das diskriminierende, intolerante und hasserfüllte Gesetz zurückgenommen sei“ und appellierte an den Senat der Niederlande, das Inkrafttreten des Gesetzes zu verhindern. Juden, die sich in den Niederlanden unerwünscht fühlen, überlegen bereits, ihre Koffer zu packen. Doch die Europäische Rabbinerkonferenz versucht alles, um dieses zu verhindern und auch in den Niederlanden ein weiteres Leben nach der Halacha zu ermöglichen. Inzwischen wurde eine Ausnahmeregelung ins neue Gesetz aufgenommen. Unter der Bedingung, dass den Tieren kein größeres Leid zugefügt würde, als sonst bei anderen Schlachtmethoden, ist Schächten zugelassen. Doch noch „ist diese Schlacht nicht gewonnen“, warnt der Pariser Rabbiner Yirmiyah Menachem Cohen in Brüssel. Der antisemitische Wind in Europa, der religiösen Juden entgegen weht, ist stärker geworden.