Im Dialog bleiben

Christen, Juden und die säkulare Gesellschaft

Vor 64 Jahren wurde der „Deutsche Koordinierungsrat“ der „Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ gegründet. Wer befürchtet, dass er zum Ritual pensionierter Herren werden könnte, erkennt seine Bedeutung nicht. Über öffentliche Veranstaltungen hinaus hat er sich immer wieder als Bestandteil und echte Stütze der christlich-jüdischen Annäherung erwiesen.

  • Rudolf W. Sirsch, Generalsekretär des „Deutschen Koordinierungsrates…

  • …der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Heute sind 82 lokale und regionale Gesellschaften für „Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“ mit rund 20.000 Mitgliedern im Dachverband des „Deutschen Koordinierungsrates“ vereinigt, der seinen Sitz in Bad Nauheim hat. Schon häufig erwies er sich als zuverlässiger Seismograph, aber leider hört die deutsche Zivilgesellschaft nicht immer hin. „Wir mischen uns ein, wenn wir denken, das geht uns alle an“, betont Generalsekretär Rudolf W. Sirsch. Schon früh, bereits Ende der 60er Jahre wies der Koordinierungsrat auf die neue, sich formierende Neonaziszene hin und forderte, die NPD zu verbieten. Das verbesserte Verständnis von Christen und Juden füreinander ist ein weiterer Schwerpunkt der Gesellschaften. „Wir waren einer der ersten Organisationen, die seit den 50er Jahren Studienreisen nach Israel organisieren“, erzählt Sirsch weiter. Nicht nur Lehrer und andere Multiplikatoren fliegen seitdem mit der Gesellschaft regelmäßig nach Israel, sondern auch auszubildende Lehrlinge und Gesellen, die in einem zwei- bis dreimonatigen Aufenthalt Land und Leute kennen lernen und dadurch auch die Chance erhalten, veraltete „Denkschemata im Kopf zu verändern.“ Im Turnus von zwei bis drei Jahren reisen Vorstände und Mitglieder jeder einzelnen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit nach Israel, wo sie Freundschaften schließen, mit Bürgermeistern diskutieren sowie mit Politikern aller Parteien und Wirtschaftsfachleuten zusammen treffen.

 

Deutscher Medienpreis: Der Koordinierungsrat protestierte schon im Vorfeld

„Der Deutsche Koordinierungsrat“, sagt Rudolf W. Sirsch, ist das „größte Einzelmitglied im „Internationalen Rat der Christen und Juden“. Eng sind die Kontakte zur Katholischen sowie zur Evangelischen Kirche. „Bestärkt durch biblische Einsichten und durch Erkenntnis christlicher Mitverantwortung“, so Sirsch und „der Mitschuld an der Shoa wurde von den Kirchen, dem Zweiten Vatikanischen Konzil, Bischofskonferenzen und vielen evangelischen Synoden das mit Juden Verbindende und Gemeinsame in den vergangenen Jahren entdeckt.“ Nicht immer geht es dabei harmonisch zu. Auseinandersetzungen gab es zum Beispiel im vergangenen Jahr, als der evangelische Pfarrer Mitri Rahab von Roman Herzog den „Deutschen Medienpreis“ erhielt. Der in Bethlehem in der „Weihnachtskirche“ amtierende palästinensische Christ sollte für sein angebliches Eintreten für die „Versöhnung zwischen Christen, Juden und Muslime“ geehrt werden. Schon im Vorfeld protestierte der Deutsche Koordinierungsrat heftig und machte die Öffentlichkeit auf ständige israelfeindliche Äußerungen des Geehrten aufmerksam, der auch zum Boykott israelischer Produkte und Dienstleistungen aufrief. Zwar nützte der Protest gegen Rahab wenig, dem sich auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft und jüdische Organisationen anschlossen, doch zeigte er die verschiedenen, oftmals konträren Auseinandersetzungen innerhalb des Christentums. Der „Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“, steht hierbei nicht nur an der Seite Israels, der „Heimstätte des jüdischen Volkes“, sondern zeigt sich auch als Freund der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Unterstützt wird er in seinem Kampf gegen rassistischen und politischen Antisemitismus, Antizionismus und Rechtsextremismus von mehreren Landeszentralen und der Bundeszentrale für politische Bildung und oft auch von Stiftungen der SPD und CDU, mit denen der Koordinierungsrat kooperiert.

 

„Im Dialog bleiben“ ist das Ziel des Deutschen Koordinierungrates, der sich für eine „Verständigung zwischen Juden und Christen“ einsetzt, für „gegenseitige Achtung trotz aller Unterschiede.“ Immer wieder gibt es Rückschläge. Das Karfreitaggebet der katholischen Liturgie, das zur Konversion zum Christentum aufruft, obwohl die Kirche sich klar und deutlich gegen eine Judenmissionierung aussprach, ist ein Beispiel dafür. Aber auch in der evangelischen Kirche, betont Sirsch, vermisse er oft die Realisierung guter Vorsätze. „Nicht immer sind diese in jeder Dorfpfarrei angekommen.“ 

 

„Gemeinsam handeln“ 

Intoleranz und Fanatismus kann man am besten durch Wissen und gegenseitiges Kennenlernen entgegen treten. „Wir sind der Sauerteig und greifen immer wieder neue Themen auf “, betont Generalsekretär Rudolf W. Sirsch und hofft, dass die Vorschläge in der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fallen. Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden und Gespräche über die NS-Zeit sowie Vorträge und Tagungen für Erwachsene und in Schulen auch über gegenwärtigen Rassismus und Gewalt unter Kindern und Jugendlichen werden von den Mitgliedern der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit organisiert. Auch das Thema „Zivilcourage“ gehört dazu und bildet die Brücke zur Gegenwart. „Seit vier Jahren laden wir christliche, jüdische und muslimische Religionslehrer zu Kolloquien ein“, erzählt Sirsch. Unterstützt werden Buchprojekte und Dissertationen, die zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus beitragen sowie zur Toleranz untereinander. „Gemeinsam handeln“ ist das Leitmotiv des Deutschen Koordinierungsrates und seiner Gesellschaften. Seite an Seite stehen Juden und Christen. Landesrabbiner Henry G. Brandt ist der „Jüdische Präsident“ des Vorstandes, der sich aus drei Präsidiumsmitgliedern zusammensetzt. Ricklef Münnich ist der „Evangelische Präsident“ und Eva-Maria Schulz-Jander vertritt die Katholiken. Schirmherr ist immer der gegenwärtige deutsche Bundespräsident.

 

„Buber-Rosenzweig-Medaille“ für Mirjam Pressler und das „Fritz Bauer Institut“ 

Seit 1968 verleiht der Koordinierungsrat bei der Eröffnungsfeier der jährlichen „Woche der Brüderlichkeit“ die „Buber-Rosenzweig-Medaille“ an Institutionen und Personen, die sich „insbesondere um die Verständigung zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben.“ Mit Aufrufen gegen Antisemitismus begann in diesem Jahr in Kassel die Eröffnung. „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind nicht verschwunden“, mahnte Präsidentin Schulz-Jander und so stand die Veranstaltung diesmal unter dem Motto „Sachor, Gedenken“. Aus der Erinnerung lernen, der „Zukunft ein Gedächtnis“ schaffen, seien auch die Ziele des Fritz Bauer Institutes, das sich mit der historischen und politischen Wirkung des Holocaust beschäftigt, ebenso wie die Kinder- und Jugendbücher der Autorin und Übersetzerin Mirjam Pressler, hieß es in der Laudatio bei der Preisverleihung der „Buber-Rosenzweig- Medaille“, die beide erhielten und die Institutsdirektor Prof. Dr. Raphael Gross sowie Schriftstellerin Pressler entgegen nahmen. Mit ihren Erzählungen und Romanen hat sie jüdisches Leben in der Zeit des Nationalsozialismus und danach Generationen näher gebracht. Sie ist „eine begnadete Erzählerin“ lobte Charlotte Knobloch in ihrer Laudatio Presslers Werke, die ein Plädoyer für eine offene und tolerante Gesellschaft sind. „Als Christen und Juden ist es unsere Pflicht, den Menschen, gerade den jüngeren, Halt zu geben, ihnen Mut zu machen“, betonte Charlotte Knobloch und plädiert dafür, mit „Mut für unsere Werte einzustehen – für Frieden, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und das respektvolle Miteinander, für eine gute Zukunft für unsere Kinder und Kindeskinder.“ 

 

Rabbiner Julian-Chaim Soussan: Religion nicht nur tolerieren sondern auch respektieren 

Am Vortag hatten sich Kirchenvertreter, orthodoxe und liberale Rabbiner getroffen. „Wir haben Gemeinsamkeiten“, bekannte Rabbiner Julian-Chaim Soussan. Gerade die Beschneidungsdebatte habe gezeigt, wie säkular und auch intolerant ein großer Teil unserer Gesellschaft geworden sei. Deshalb sei Aufklärung dringend notwendig, um dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Der „religiöse Analphabetismus“ betrifft jüdische wie christliche Religionsgemeinschaften gleichsam. Diesem Thema wollen sich auch die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit verstärkt zuwenden, denn Religion soll wichtig bleiben und „nicht nur toleriert“, wie Rabbiner Soussan sagt, „sondern auch respektiert werden“ und seinen Platz als Teil unserer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft darin finden. Christliche und jüdische Traditionen bilden das Fundament der europäischen Kultur und Gesellschaft. Viele Anstöße brachte die Woche der Brüderlichkeit für die zukünftige Arbeit der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und ihrer Dachorganisation, dem „Deutschen Koordinierungsrat.“

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