Das Fritz-Bauer-Institut

ERFORSCHT DIE NS-ZEIT UND DEREN AUSWIRKUNGEN BIS IN DIE GEGENWART

  • Einst das „IG Farben Haus“, heute J. W. Goethe-Universität und Sitz des Fritz-Bauer-Instituts.

  • F.-B.-Instituts Direktor Prof. Dr. Raphael Gross leitet auch das Londoner Leo-Baeck-Institute.

  • Gründungsdirektor Hanno Loewy ist heute Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems.

In den 50er Jahren wurden ausgerechnet zu Hitlers Geburtstag am 20. April regelmäßig jüdische Friedhöfe geschändet. Die Täter wurden nie gefasst. Seit dieser Zeit wird den bundesdeutschen Polizeiorganen immer wieder nachgesagt, sie seien auf dem rechten Auge blind.

 

Das BKA beschäftigt zu viele ehemalige Nazis, warnte schon früh Dr. Hendrik van Dam, der damalige Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland. Seine Mahnung blieb unbeachtet. Nicht gegen Täter im Umkreis ehemaliger Nazis wurde gesucht. Stattdessen wurde gegen Araber ermittelt, gegen Besucher aus dem Ostblock, vor allem aus dem Baltikum und gegen Türken. Hendrik van Dam behielt mit seiner düsteren Prophezeiung Recht. Der Anschein, dass ganz bewusst in die falsche Richtung ermittelt wurde, verdichtet sich immer mehr, waren doch auch tatsächlich eine große Anzahl ehemaliger Mitarbeiter aus dem NS-Einsatzkommando Litauen und andere Nationalsozialisten im BKA untergetaucht, dessen Schwerpunkt damals nicht die Entnazifizierung des Apparats war, sondern der kalte Krieg.

 

Es dauerte noch lange, bis die Verbrechen des Nationalsozialismus und deren Wirkung bis in die Gegenwart hinein, auch wissenschaftlich untersucht werden sollten. Fünfzig Jahre nach der Zerschlagung des verbrecherischen NS-Systems wurde in Frankfurt am Main das Fritz-Bauer-Institut mit dem Ziel gegründet, nicht nur ein Dokumentations- und Forschungszentrum zu werden, sondern auch bildungspolitische Aufklärungsarbeit zu leisten, insbesondere für Schulen und für außerschulische Jugendprojekte, sowie gesellschaftliche Diskurse voranzubringen. Ein solches Zentrum gab es zu jener Zeit noch nicht in Deutschland. „Der Ansatz unserer Gründung, die scheinbar „moralische“ Selbstgewissheit in den verschiedenen politischen Instrumentalisierungen im Umgang mit dem Holocaust kritisch zum Thema zu machen, stellte unbequeme Fragen an alle“, erzählt der ehemalige Gründungsdirektor Hanno Loewy. Schon damals war klar gewesen, so Loewy, „dass die Auseinandersetzung mit dem Holocaust als Geschichte nicht getrennt werden kann von seiner Nachwirkung auf die Gegenwart, seinen politisch-moralischen Folgen, seiner juristischen Aufarbeitung, seinen traumatischen Wirkungen, seiner Rezeption in Literatur, Kunst und Film, in Philosophie und politischer Theorie.“

 

Diese Grundsätze bilden bis heute den Kern der Arbeit des Fritz- Bauer-Institutes. Doch dauerte es noch Jahrzehnte bis aus einem kleinen Projekt das international renommierte wissenschaftliche Institut wurde, das heute seinen Sitz in der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität hat. Mehrfach wechselten die Direktoren. Hanno Loewy lebt in Hohenems als Direktor des dortigen Jüdischen Museums und auch Prof. Dr. Brumlik, sein Nachfolger, verließ inzwischen das Fritz-Bauer-Institut. Heute wird es von Prof. Dr. Raphael Gross geleitet, der zugleich Direktor des Londoner Leo-Baeck-Institutes ist, sowie Direktor des Frankfurter Jüdischen Museums. Ein Glücksfall, denn neben der wissenschaftlichen Forschung wird so auch eine breite Öffentlichkeitsarbeit möglich. Wie in den letzten Jahren werden auch zukünftig gemeinsam Ausstellungen konzipiert. Gegenwärtig wird zum Beispiel eine Schau über „Juden und Geld“ vorbereitet, die alte Vorurteile vom „reichen Juden“ aufgreift und für 2014 ist im Jüdischen Museum eine Ausstellung über Fritz Bauer geplant, dessen Name nicht nur das Institut trägt, sondern dessen konsequentes aufklärerisches Eintreten gegen Faschismus und NS-Verbrechen auch Programm und Ziel des Institutes wurde. Das Fritz-Bauer-Institut „ist auch ein Forschungsinstitut“, betont Direktor Prof. Dr. Gross. Mit dem Jahr 1945 war die NS-Ideologie noch nicht aus den Köpfen der Menschen verschwunden und auch nicht der Antisemitismus. „Es gibt Auswirkungen bis in die Gegenwart“, sagt Gross. „Das ist eine der Untersuchungen des Institutes und ein Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit des Fritz-Bauer-Institutes und seines „Pädagogischen Zentrums“.

 

Im März wurde zum Beispiel eine „Kooperationsvereinbarung für Bildungspartnerschaften“ zwischen dem Institut und dem Bundeskriminalamt unterzeichnet. „Nur durch die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit können wir unsere Zukunft verantwortlich gestalten“, betonte BKA-Präsident Jörg Ziercke bei der Unterzeichnung. „Wir wollen eine Erinnerungskultur, die eine offene und differenzierte Auseinandersetzung beinhaltet.“ Das Fritz-Bauer-Institut ist nicht der einzige Kooperationspartner. Forschungsprojekte mit der „Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg“ bestanden, jedoch ging es hierbei mehr um eine wissenschaftliche Erfassung der Verstrickung in der NS-Zeit, während nun Projekte und Projektwochen des Fritz-Bauer-Institutes neue Aus- und Fortbildungsveranstaltungen sein werden, an denen viele Mitarbeiter des BKA teilnehmen. Wie dringend notwendig solche Veranstaltungen sind, zeigt die Aufdeckung der Mordserie der „NSU“ und das Erschrecken der Gesellschaft über das Ausmaß der Verbrechen dieses „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Doch anders als in den 50er Jahren sind die Sicherheitsbehörden jetzt sensibilisiert und entdecken erstaunt das Ausmaß der neuen braunen Gewalt, deren Ursachen ihnen noch nicht in allen Details bekannt zu sein scheinen. Hier aufzuklären ist eine große gesellschaftliche Verantwortung. Für diese und andere konstruktive Anregungen, die zu einem neuen kritischen Geschichtsbewusstsein beitragen, erhielt jetzt das Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust die „Buber-Rosenzweig-Medaille“. Gewürdigt wird, hieß es in der Laudatio, die „Einmischung in den gesellschaftlichen Diskurs und das dezidierte Eintreten des Fritz-Bauer-Institutes für eine differenzierte Gedächtniskultur.“ Das was gestern noch Vergangenheit war, kann schon heute Gegenwart sein. Wie sind Pannen bei der Aufdeckung der NSU- Morde heute noch möglich, in der lange Zeit in die völlig falsche Richtung ermittelt wurde? Parallelen zu den 50er Jahren sind so deutlich, dass auch in den Behörden umgedacht werden muss und der Rechtsradikalismus mit seinen Auswirkungen stärker als eine Bedrohung unseres Rechtsstaates erkannt werden muss.

 

Institutionen und Behörden, Schulen, Museen und Weiterbildungsstätten arbeiten viel mit dem Fritz-Bauer-Institut zusammen, das inzwischen ein reichhaltiges, allen offen stehendes Archiv zusammen getragen hat und auch Lehrmaterialien, Broschüren, Zeitschriften und Jahrbücher heraus gibt. Die Historiker erforschen teilweise wenig bearbeitete oder unbekannte Themen. So wurde 2012 zum Beispiel ein zweibändiges Werk über den Mord an litauischen Juden herausgegeben. Über Bundesgrenzen der Länder hinweg wenden sich Schulbuchverlage vor dem Druck fast regelmäßig an die Mitarbeiter und bitten sie zu überprüfen, ob die Ereignisse der NS-Zeit historisch richtig dargestellt sind. „Unsere Arbeit ist langfristig angelegt und weniger tagespolitisch“, sagt Direktor Prof. Dr. Gross, der sich darüber freut, dass einige Forschungsprojekte des Fritz-Bauer und des Leo-Baeck-Institutes interdisziplinär bearbeitet werden. Das selbstständige Kulturinstitut arbeitet mit vielen weiteren Forschungs-, Gedenkstätten und Museen zusammen. Im „Rat der Überlebenden“ begleiten Holocaust-Survivors kritisch und konstruktiv die Arbeit des Fritz-Bauer-Institutes, das schon längst eine europäische Bedeutung erreicht hat.

 

 

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